KEINE DATES MIT FOOTBALLSPIELERN

Kapitel 1

Kendall

 

Wie oft hast du etwas in deinen Mund genommen und gedacht: ‚Das schmeckt nicht gut. Soll ich das etwa herunterschlucken?‘ Und dann tust du es und bereust es. Doch nur Augenblicke danach vergisst du, wie sehr du es gehasst hast und nimmst mehr davon in den Mund?

Nun, das ist mir gestern Nacht passiert, und heute Morgen zahle ich den Preis dafür. Wie kann jemand nur Whiskey trinken? Er schmeckt nach Dreck und es ist, als würde man Lava schlucken. Ich hätte ihn nur in meinem Mund behalten und wieder ausspucken sollen, wenn niemand hingeschaut hätte. Niemand erwartet, dass man schluckt, nicht wahr? Es geht nur darum, dass man da ist und sich die Mühe macht.

Okay, das war’s für mich. Ich weiß, dass es ein Klischee ist, mit einem Kater aufzuwachen und zu behaupten, dass man nie wieder einen Tropfen Alkohol anrührt. Aber ich werde das wirklich nicht tun. Ich werde nie wieder etwas trinken. Keinen Wein, keinen Whiskey, nicht einmal Cidre. Ich bin durch mit dem Trinken. Und wenn ich schon mal dabei bin, sollte ich meine Beziehung zu lauten Geräuschen und der Sonne überdenken.

„Kannst du das bitte sein lassen?“, fragte ich meine Zimmergenossin Cory, ehe ich stöhnte und mich elendig fühlend herumdrehte.

„Ich habe meine Hosen angezogen“, erwiderte Cory verwirrt.

„Und kannst du das leise machen?“

„Wie viele Arten, seine Hosen anzuziehen gibt es?“

Ich grunzte. „Mir geht’s nicht gut.“

„Soll ich dir ein Glas Wasser oder so bringen? Ich gehe los, um Frühstück zu holen. Soll ich dir einen Bagel mitbringen?“

Ich dachte über einen Bagel mit Frischkäse und Räucherlachs nach und übergab mich beinahe. Was hatte Cory vor, mich umzubringen? Unser Wohnheimzimmer war nicht sehr groß, versuchte sie es für sich allein zu haben? Ich stöhnte als Antwort und kroch zu einem Ball zusammen.

Cory blieb einen Moment lang still und setzte sich dann auf die Kante meines Bettes und fuhr mit ihren Fingern durch meine Haare, kraulte meine Kopfhaut. Es fühlte sich so gut an, dass ich beinahe vergaß, wie sehr ich Mädels nicht mochte. Um genau zu sein mochte ich auch keine Kerle. Ich hatte mit Menschen im Allgemeinen ein Problem.

Aber die Wahrheit war: Abgesehen davon, wie laut sie ihre Hosen anzog, war Cory sehr süß. Sie war die Art von Mensch, die mir meinen Glauben an die Menschheit zurückgab. Nicht komplett natürlich, denn wie du weißt, Leute halt.

Nachdem ich jetzt ein paar Jahre mit ihr zusammengelebt habe, habe ich angefangen zu denken, dass sie doch gar nicht so schlecht sind. Ganz im Gegenteil, sie um mich zu haben, hat in mir den Wunsch nach Kontakt mit Menschen aufkommen lassen. Letzte Nacht habe ich sogar mein Zimmer verlassen, um danach zu suchen. Ich, Kendall Seers, bin auf eine Campusparty gegangen. Ganz offensichtlich hatte Cory einen schlechten Einfluss auf mich.

Zu schade, dass ich nur auf Männer stehe und die meisten von ihnen Armleuchter sind. Und die, die keine sind, behandeln mich trotzdem wie die Freakshow, die ich bin. Es macht mir nicht einmal etwas aus, dass sie mich nicht auf eine sexuelle Weise betrachten, weil ich sie auch nicht so sehe.

Ich meine, sie sind echt in Ordnung. Aber der Gedanke daran, einen von ihnen zu küssen? Ha! Sagen wir mal, das wird niemals passieren.

„Ich schätze mal, du hattest gestern Abend Spaß?“

„Ich erinnere mich nicht“, gab ich zu.

„Hast du einen Filmriss?“

„Ja“, sagte ich ihr und vergrub mein Gesicht im Kissen.

„Wow, das ist hart“, meinte sie und rieb meinen Kopf noch etwas kräftiger.

Das Mädchen hatte magische Hände. Wenn ich ein Hund wäre, würde mein Bein jetzt gerade durchdrehen. Trotzt dass ich nicht auf Mädchen stand, wenn sie in mein Bett kriechen und ihre Arme um mich schlingen wollen würde, würde  ich nicht nein sagen.

Sie würde das allerdings nicht machen. Neben der Tatsache, dass sie auch hetero war, war sie darüber hinaus das reinste Mädchen, das ich kannte. Ganz egal, wie unschuldig es wäre, sie würde es wahrscheinlich als Betrug an ihrem festen Freund betrachten. Sie war einfach ein guter Mensch. Ich würde wohl den Rest meines Lebens damit verbringen, einen Mann zu suchen, der so toll war wie sie.

„Kann ich dich etwas fragen?“, fragte Cory ernsthaft.

„Ob ich dich heiraten will? Wenn du meinen Kopf weiter so kraulst, ist die Antwort ja.“

Cory schmunzelte. „Ich werd’s mir merken, aber das war nicht die Frage.“

„Oh Mann“, grollte ich enttäuscht.

„Ich frage mich, warum du einen Fetzen Papier an deinem Oberteil festgesteckt hast.“

„Was?“

Cory bewegte ihre magischen Finger von meiner Kopfhaut weg und zog an etwas, das an meinem T-Shirt hing. Es war das, was ich gestern Abend getragen hatte, als ich ausgegangen war. Und bis zu dem Moment, an dem meine Erinnerungen dunkel wurden, war der Zettel nicht dort gewesen. 

Ich drehte mich um, um es besser sehen zu können. Als ich es nach oben kippte, sah ich Worte darauf.

„Es ist verkehrt herum geschrieben“, sagte ich ihr, während die Überreste des Whiskys in meinem Kopf herumwaberten.

 Cory schmunzelte wieder. „Lass mich das für dich abmachen.“

Sie ließ die Sicherheitsnadel los und betrachtete den Zettel. „Willow Pond um 14 Uhr. Was bedeutet das?“

Was bedeutete das? Ich kannte Willow Pond. Es war mein Lieblingsplatz auf dem Campus. Dorthin ging ich, wenn ich einen Moment zum Nachdenken brauchte. Aber was war das ‚um 14 Uhr‘?

Ich drehte mich um, um Cory zu fragen, ob sie es richtig gelesen hatte, als plötzlich ein Bild in meinem Kopf aufblitzte. Es war ein Junge von nicht benennbarer Größe und Gestalt, und er lehnte sich zu mir.

„Oh Gott! Ich habe einen Jungen geküsst!“, sagte ich und schoss in die Höhe.

Anscheinend ging das etwas zu schnell, denn gleichzeitig kam alles, was ich am Vorabend konsumiert hatte, mit nach oben. Wenn unser Zimmer nicht so nah am Badezimmer gelegen hätte, hätte ich es nicht geschafft. Aber als ich vom Porzellangott zurückkam, fühlte ich mich wie ein Tiger auf der Jagd. Das dauerte ungefähr 30 Sekunden, bevor ich daran erinnert wurde, dass die Sonne der Teufel war und ich wieder unter meine Laken kriechen musste.

Es war überflüssig zu erwähnen, dass die Erinnerung, wie ich jemanden zum ersten Mal in meinem Leben küsste, irgendwie ein Schock war. Ich war nie ein beliebtes Mädchen gewesen.

In der Highschool konnte ich es dem Umstand zuschreiben, jede Erwartung, die mir aufgezwungen wurde, wie ein Mädchen im Süden aufwachsen sollte, aktiv verweigert zu haben. Aber warum war das im College genauso?

Die East Tennessee University war nicht wie die Vororte von Nashville. Der Druck mitzuziehen war hier nicht der gleiche. Denn hier war es anders. Ich versuchte nicht so angestrengt, aufzufallen. Ich habe sogar schon Kerle auf dem Campus gesehen, die sich wie ich anzogen. Und doch bin ich kein einziges Mal mit einem von ihnen in eine Beziehung gestolpert oder habe einen Mann gefunden, als ich aufgehört habe, nach einem Ausschau zu halten, wie man so schön sagt.

Versteh mich nicht falsch, meinen allerersten Kuss zu bekommen war jetzt keine große Sache oder so. Ich frage mich nur, wie es ausgerechnet dann passiert, wenn ich besinnungslos betrunken war. Ich weiß, dass Alkohol die Hemmschwelle senkt, also was sagte das über mich und meine eigentlichen Wünsche aus?

„Bist du in Ordnung?“, fragte mein Mitbewohner und sah mich besorgt an.

 „Ich glaube, ich habe einen Jungen geküsst.“

„Das habe ich gehört. Wen?“

„Ich weiß nicht.“

„Wie kannst du das nicht wissen?“

„Weil einige von uns im Gegensatz zu dir schlechte Entscheidungen treffen und Dinge mit völlig Fremden tun, an die sie sich ganz offensichtlich nicht erinnern“, erklärte ich.

„Ich treffe manchmal schlechte Entscheidungen.“

„Natürlich, Miss, ich bin-praktisch-verheiratet, seit ich siebzehn bin. Du weißt wahrscheinlich nicht einmal, was eine schlechte Entscheidung ist.“

„Ich bin nicht perfekt.“

„Schon klar.“

„Wie auch immer. Glaubst du, der Typ, den du geküsst hast, ist derselbe, der das geschrieben hat?“

Ich setzte mich auf. „Jetzt schon.“

„Also ist das wie eine Einladung?“

„Ein Treffen u 14 Uhr an meinem Lieblingsort?“

„Ja“, sagte Cory mit wachsender Aufregung. „Das ist irgendwie romantisch.“

„Romantisch?“, fragte ich, als spräche sie eine Fremdsprache. „Schätze schon. Du weißt schon, wenn man auf solchen Kram steht.“

„Erinnerst du dich an etwas von dem Kerl?“

Ich durchforstete mein Gedächtnis. „Ich kann mich nur daran erinnern, dass sich jemand zu mir gelehnt hat. Das ist alles.“

„Was ist mit dem Winkel? Nach vorn gelehnt? Eher gebückt?“

„Er hat sich nach unten gebeugt. Und er war groß. Daran erinnere ich mich.“

„Groß wie wirklich groß. Oder einfach größer als du.“

 „Ich glaube, er war groß. Ich glaube, ich erinnere mich, dass er große Hände hatte.“

„Große Hände“, sagte Cory zweideutig.

„Was?“, sagte ich errötend.

„Ich meine ja nur.“

Cory lächelte.

„Okay, genug Anspielungen, immer mit der Ruhe. Wir wissen nichts über ihn. Soweit wir wissen, könnte er groß gewesen sein, weil er eine Statue war, die ich unangemessen berührt habe.“

„Aber würde eine Statue dir eine Nachricht schreiben, dass ihr euch um 14 Uhr bei Willow Pond treffen sollt?“

Ich dachte darüber nach. Cory hatte recht. Wer auch immer die Notiz geschrieben hatte, war ein Mensch. Der Kerl, den ich geküsst habe, war aus Fleisch und Blut. Bedeutete das, dass ich jemanden getroffen hatte, den ich mochte und der mich auch mochte? Nicht, dass es mich interessieren würde.

„Kelly und ich gehen wandern, also muss ich frühstücken. Aber du triffst ihn, ja?“

„Du meinst den Fremden, der den Ort vorbereiten könnte, um mich zu ermorden?“

„Nein, ich meine den Kerl, der dich unter dem Sternenhimmel geküsst und dir einen Hinweis hinterlassen hat, um ihn wiederzufinden.“

Cory stand auf und schnappte sich ihre Schlüssel und Brieftasche.

„Kendall, so viel du auch erzählt hast, wie sehr du keine Leute magst, du wirst keinesfalls nicht hingehen. Denk darüber nach. Du hast jemanden getroffen, den du genug gemocht hast, um ihn zu küssen. Ganz gleich wie  betrunken du warst, du würdest das niemals tun, wenn du nicht denken würdest, dass er jemand Besonderes ist. Wer weiß, das könnte der Typ sein, mit dem du den Rest deines Lebens verbringst.“

„Ja, weil er mich tötet und meinen Körper in den Teich wirft.“

Cory lachte. „Okay. Tu, was du tun musst. Aber wenn ich heute Abend zurückkomme und du diesen Typen nicht getroffen hast, werde ich sehr enttäuscht von dir sein.“

„Ja, Mama.“

„Braves Mädchen“, sagte sie, bevor sie sich auf mein Bett kniete und mein Haar küsste.

Argh! Cory war wirklich zu süß, um es in Worte zu fassen.

Aber genug von dem Mädchen, das weggeht, um ihren Freund zu treffen. Es war an der Zeit, darüber nachzudenken, wer auch immer die Notiz an mich geheftet hatte. Ich musste zugeben, dass es zumindest ein bisschen romantisch war.

Wusste er, dass ich mich nicht an die Nacht erinnern würde und sichergehen wollte, dass wir uns wiedersehen? Das musste es sein, oder? Nicht, dass er seine Nummer nicht in mein Telefon eingeben wollte, damit die Polizei sie nicht findet? Oder vielleicht war es beides.

Langsam spürte ich, wie meine Kraft zurückkehrte, und suchte nach meinem Handy. Als ich es nicht auf meinem Nachttisch fand, suchte ich den Boden um mein Bett herum ab. Da war es auch nicht. Hatte ich mich so betrunken, dass ich mein Handy verloren hatte?

Mist! Es hatte 800 Dollar gekostet und ich zahle es immer noch ab. Ich trinke ernsthaft nie wieder etwas. Es ist gut, dass außer meinen Eltern nur das Mädel darin gespeichert war, mit dem ich zusammenlebte. Gott sei Dank, dass ich unbeliebt war.

 Da ich etwas in meinen Magen bekommen musste, machte ich mich schließlich auf den Weg zur Cafeteria und füllte mein Tablett. Ich wusste nicht, was drin bleiben würde, also nahm ich von allem etwas. Als ich von meinem Essen aufschaute, fiel mir ein Typ ins Auge, den ich aus dem Unterricht kannte und der mir zuwinkte, mich seiner Gruppe anzuschließen. Ich winkte ab, da ich wusste, dass ich in meinem Zustand kein Gespräch führen konnte.

Außerdem wollte ich vor 14 Uhr sehen, woran ich mich erinnern konnte. Wenn ich nicht wusste, wie er aussah, wie sollte ich ihn dann finden, wenn ich dort ankam? Woher wusste ich, dass er mich gerade nicht beobachtete?

Ich sah auf und überflog den Raum. Es waren viele Leute da. Die meisten waren in ein Gespräch vertieft oder sahen auf ihren Teller. Der Einzige, der es nicht war, starrte mich an. Nach einem kurzen Blickkontakt kam er herüber.

„Hey Kendall, hast du meine Nachricht wegen der Studiengruppe bekommen? Willst du mitmachen?“, fragte er verlegen.

Ich kannte ihn. Es war der Typ aus dem Psychologieunterricht, der mich immer anstarrte. Ich konnte nicht sagen, was er wollte. War immer etwas in meinem Gesicht oder sah er nur die Person hinter mir an?

„Ich glaube, ich habe mein Handy verloren“, sagte ich, bevor ich mir reflexartig den Mund abwischte.

„Ernsthaft? Das ist Scheiße!“

„Kannst du laut sagen.“

„Brauchst du meine Nummer noch einmal?“

„Ich habe nichts, um sie einzutragen.“

„Richtig“, sagte er enttäuscht. „Wie auch immer, wir treffen uns am Donnerstag im Commons. Es wäre toll, wenn du kommen könntest.“

„Ich glaube, ich habe am Donnerstag etwas, aber vielleicht“, sagte ich ihm und wollte eigentlich nicht hingehen.

„Oh, in Ordnung. Lass es mich wissen.“

Er lächelte und kehrte an seinen Tisch zurück. Ich wunderte mich über ihn. Der Typ fragte mich immer, ob ich mich ihm für dieses oder jenes anzuschließen würde. Wie viele gesellschaftliche Veranstaltungen organisierte er?

Nachdem ich meine Pfannkuchen gegessen hatte, fühlte ich mich Mensch genug, um in mein Zimmer zurückzukehren und mich für den Tag fertig zu machen. Sonntag war ein ruhiger Tag in den Wohnheimen. Die meisten Leute schüttelten normalerweise die Auswirkungen ihrer Samstagnacht ab.

Beim Duschen konnte ich nicht anders, als mir vorzustellen, wer den Zettel an mein Hemd geheftet hatte. Was, wenn Cory Recht hatte und es die Liebe meines Lebens war? Die Wahrscheinlichkeit, dass er es war, war gering, aber das bedeutete nicht, dass es nicht passieren konnte.

Der Gedanke daran ließ mich vor Aufregung kribbeln. Wie wäre es, in die Arme eines Mannes zu kriechen und einzuschlafen? Wie wäre es, einen Freund zu haben? Ich wusste von all den Sachen nichts.

Alles, was ich wusste, war, dass ich, egal wer dieser Typ war, vielleicht alles daran setzen sollte, um das nicht zu vermasseln. Ja, die meisten Leute waren scheiße, aber ich war es leid, allein zu sein. Ich war kein herzloses Monster, ganz egal, wie sehr ich das vortäuschte. Ich wollte wissen, wie sich Liebe anfühlte.

Als unser Treffen immer näher rückte und die Schmetterlinge in meinem Bauch überhandnahmen, nahm ich das schönste T-Shirt, das ich hatte, passend zu der schwarzen Hose im gleichen Farbton. Ich wickelte mir ein Lederarmband mit Nieten um das Handgelenk, stand vor dem Spiegel und betrachtete mich.

Ich war dünn, hatte fast keinen Busen und zog mich wie ein Goth-Teenie an, der sich keine Mühe gab.. Ich strich die widerspenstigen Locken aus meiner Stirn und sie fielen wieder zurück. Ja, das war das Beste, was ich zu bieten hatte. Der Typ musste einfach enttäuscht sein, wenn er mich bei Tageslicht sah.

Nachdem ich noch mehrmals mit mir gerungen hatte, ob ich gehen sollte, verließ mein Zimmer und lief zur Willow Pond. Ich konnte kaum atmen, so nervös war ich. Was würde passieren, wenn ich ihn nicht erkannte? Was wäre, wenn er mich sah, bemerkte, dass er einen großen Fehler gemacht hatte, und mich daraufhin versetzen würde.

Der Gedanke reichte beinahe aus, dass ich kehrt machte, aber ich tat es dann doch nicht. Ich ging Schritt für Schritt weiter, bis der Teich in Sicht kam. Der Ort war praktisch leer. Der Einzige dort war ein Typ, der am Ufer stand und die Enten beobachtete.

Könnte er es sein? Das war doch nicht möglich. Ich konnte nur seinen Rücken sehen, aber der allein sagte mir schon, dass er außerhalb meiner Liga spielte. Stell dir Schultern vor, die breit genug waren, um die Welt zu tragen, und Arme, die stark genug waren, um sie in seinen Händen zu zerquetschen.

Sein goldenes Haar glänzte, als die Lichtreflexion des Teiches von ihnen abprallte. Sein Anblick drohte mir den Atem zu nehmen. Als er sich umdrehte und unsere Augen sich trafen, geschah genau das. Er war es, der Typ von letzter Nacht. Ich hätte ihn überall erkannt.

Erinnerungen kehrten zurück. Betrunken war ich auf der Party auf ihn zugelaufen und hatte ihm gesagt, dass er der atemberaubendste Typ war, den ich je gesehen hatte. Ich hatte erwartet, dass er mir sagte, dass ich verschwinden soll. Stattdessen hatte er mich nach meinem Namen gefragt und wir hatten uns die restliche Nacht unterhalten.

Die meiste Zeit über erzählte ich ihm, wie heiß er war, und versuchte ihn zu küssen, während er mich abwehrte und errötete. Oh Scheiße, das hatte ich ganz vergessen. Ich habe mich zum kompletten Volltrottel gemacht.

Er hatte mich nur geküsst, weil ich ihn nicht in Ruhe gelassen hätte, bis er es getan hätte. Doch dann schrieb er etwas auf ein Stück Papier und sagte mir, dass es für morgen war und dass, wenn ich immer noch interessiert wäre,  ich ihn hier treffen sollte.

Ich denke, er hatte sich so verhalten, um ein Gentleman zu sein. Er musste gesehen habe, wie betrunken ich war, und wollte mich nicht ausnutzen. Doch wie konnte jemand so heiß und rücksichtsvoll sein? Etwas stimmte ganz offensichtlich nicht mit ihm.

„Kendall! Da bist du ja“, sagte er lächelnd mit einem ländlichen Tennessee Akzent.

Oh nein, er erinnerte sich an meinen Namen. Wie war seiner?

„Natürlich“, sagte ich und kam eine Armeslänge von ihm entfernt zum Stehen. „Wie könnte ich nicht …“

„Du kannst dich nicht an meinen Namen erinnern, oder?“, scherzte er.

„Doch. Du heißt ähm …“

Meine Gedanken überwarfen sich verzweifelt.

„Schon okay. Du warst gestern Abend ziemlich betrunken. Ich bin echt froh, dass du gekommen bist.“

„Die Notiz war eine große Hilfe. Sie war an mir festgesteckt.“

Er lachte. „Ja. Ich wollte nicht, dass du sie verlierst … so wie dein Telefon.“

„Also habe ich mein Telefon verloren.“

„Das hast du mir erzählt.“

„Verdammt! Ich hatte irgendwie gehofft, dass du es hast.“

„Warum sollte ich es haben?“, fragte er immer noch lächelnd.

„Ich hatte es einfach gehofft. Also, wirst du mich dazu zwingen, dich nach deinem Namen zu fragen?“

„Oh! Ich heiße Nero.“

„Kendall.“

„Ich erinnere mich.“

„Stimmt. Ich muss ehrlich sein. Ich erinnere mich nicht an viel von letzter Nacht. Die einzigen Sachen, an die ich mich erinnere, sind mir vor zirka 60 Sekunden eingefallen. Entschuldige.“

„Schon gut. Was willst du wissen? Ich erinnere mich an alles.“

Ich dachte einen Augenblick lang nach. „Ähm, haben wir uns geküsst?“

Nero lachte. „Ja, wir haben uns geküsst.“

„War es gut?“

„Für mich war es das.“

„Und ich habe dich geküsst, also war es wahrscheinlich auch gut für mich.“

Nero wurde rot.

„Was hast du mir über dich erzählt, was ich vielleicht vergessen habe?“

„Ich glaube nicht, dass ich dir viel von irgendetwas erzählt habe.“

„Warum nicht?“

„Du hast nicht gefragt. Aber ich habe dich viel über dich gefragt. Ich weiß, dass du aus Nashville kommst.“

„Geboren und aufgewachsen“, bestätigte ich.

„Ich weiß, dass du im dritten Jahr bist.“

„Stimmt.“

„Und ich weiß, dass du das süßeste Mädchen bist, das ich je gesehen habe. Aber das musstest du mir nicht sagen.“

Meine Wangen glühten, als ich seine Worte hörte. Es war eindeutig nicht wahr, aber ihn das sagen zu hören, schickte einen Beben durch mich, das mir warm werden ließ.

„Du bist auch ziemlich heiß“, sagte ich ihm wohl wissend, dass ich knallrot war.

„Vielen Dank!“

„Da du so viel über mich weißt, sollte ich mich wohl auch nach dir erkundigen.“

„Okay. Schieß los.“

„Woher kommst du?“

„Aus einer kleinen Stadt, ungefähr zwei Stunden von hier entfernt.“

„Und in welchem ​​Jahr bist du?“

„Ich bin im ersten Jahr. Nach der Highschool habe ich mir ein paar Jahre freigenommen.“

„Was ist dein Hauptfach?“

„Im Augenblick? Football“, sagt er lachend.

„Football?“, sagte ich und spürte, wie die Luft aus unserer Blase entwich.

„Ja. Ich bin über ein Stipendium hier. Im Moment konzentriere ich mich ganz und gar darauf.“

Ich starrte Nero an und hörte kein Wort mehr, nachdem er ‚Football‘ gesagt hatte. Ein Schmerz schoss mir in die Magengrube, bis ich gezwungen war, ihn zu unterbrechen.

„Nein! Tut mir leid, nein. Ich kann das nicht. Football? Auf keinen Fall!“, sagte ich, trat zurück und gestikulierte mit meinem Finger. Ich sah ihn wieder an, als der Schock über sein schönes Gesicht huschte. Warum musste er Footballspieler sein?

„Aaaargh!“, schrie ich in völliger Frustration, bevor ich davonstürmte und nicht zurückschaute.

 

 

Kapitel 2

Nero

 

Was war gerade passiert? Gerade eben rede ich noch mit dem Mädchen, das ich am Abend zuvor kennengelernt habe. Alles lief gut. Ich hatte das Gefühl, sie könnte jemand Besonderes sein. Dann schrie sie mich wie aus dem Nichts an und stürmte davon.

„Was ist gerade passiert?“, schrie ich Kendall nach, als sie wegging.

Weder drehte sie sich um noch antwortete sie. Ein Teil von mir wollte ihr hinterherjagen und zwingen, es mir zu sagen, aber ich wollte das nicht. Hatte es damit zu tun, dass ich Football spiele? Wie das? Warum?

Football war schon immer das, was alle an mir mochten. Sogar die Leute, die mich hassten, liebten mich, wenn ich auf das Spielfeld trat. Sogar meine Mutter liebte mich, wenn ich auf das Spielfeld ging.

Meine Mutter hatte so viele Jahre in meinem Leben gefehlt. Nicht, weil sie mich wie mein Vater verlassen hatte. Aber weil sie in ihrer eigenen Welt verschwunden war. Und das einzige Mal, dass sie sich dieser hier wieder anschließen würde, war, wenn sie mich unter den Lichtern freitagnachts anfeuerte.

Football war die Verbindung zwischen mir und meinem neu entdeckten Bruder Cage. Football bezahlt meine Flucht aus der Kleinstadt, in der ich aufgewachsen war. Football hatte mir in meinem Leben alles Gute gegeben.

Aber das erste Mädchen, das mein Herz zum Aussetzen brachte, wenn ich es nur ansah, hasste mich, weil ich irgendetwas damit zu tun hatte? Warum kann ich nicht einmal verschont werden?

Während ich noch dort stand, wo Kendall mich zurückgelassen hatte, drehten sich meine Gedanken im Kreis. Es war nicht nur so, dass Kendall weggegangen war und mich abgelehnt hatte. Es war auch alles andere in meinem Leben. Aus Frozen Falls kommend war das Großstadtleben hart. Es gab so viel Druck. Ich gab alles, um auf dem Feld aufzufallen. Stand früher als alle anderen auf, um Selbstmordsprints zu laufen, bis ich kotzte – und das war nur der Anfang.

Letzte Nacht war die erste Nacht gewesen, in der ich mich gut gefühlt hatte. Kendall zu treffen hatte mich glauben lassen, dass ich meiner Vergangenheit entfliehen und vielleicht sogar eine Zukunft haben könnte.

Ich ging so nett und rücksichtsvoll mit ihr um, wie ich konnte. Ich wollte die Dinge wirklich nicht vermasseln. Alles an ihr sagte mir, dass sie meine Chance war, das Glück zu erleben, das ich bei allen anderen sah. Und all das verschwand, als sie mit dem Finger auf mich zeigte und ‚Auf keinen Fall!‘ schrie.

Das tut weh. Es riss mir die Eingeweide heraus. Ich musste anfangen zu laufen oder mein Kopf würde explodieren.

Ich verließ den Teich und lief auf die Straße. Es war die, die durch den Campus führte. Aber anstatt zu meinem beengten Wohnheim zu gehen, joggte ich in die entgegengesetzte Richtung. Ich musste weg. Ich musste atmen.

Mein Joggen wurde schnell zu einem Lauf. Meine Gedanken kreisten. Die Erinnerung an Kendall wanderten zu den letzten einundzwanzig Jahren meines Lebens. Ich hatte um alles kämpfen müssen. Niemand hatte mir etwas geschenkt. Nicht einmal meine Mutter.

Während sie katatonisch war, ging ich zur Arbeit. Jemand musste dafür sorgen, dass wir einen Platz zum Schlafen und Essen hatten. Mit 14 Jahren war die einzige Person, auf die ich mich verlassen konnte, ich selbst.

Die meiste Zeit trug ich Kleidung, die eine Nummer zu klein war. Ich konnte mir nichts anderes leisten. Und als das erste Kind in der Schule darauf hinwies, habe ich ihm dafür, dass er das Thema angesprochen hatte, eine ordentliche Tracht Prügel verpasst. Danach hat sich keiner mehr über mich lustig gemacht.

Ich habe mit vierzehn Aufträge erledigt, die mich hätten töten können, mit zwanzig in Kampfklubs auf mich selbst gewettet. Ich hatte immer alles getan, um zu überleben.

Wenn Cage mich nicht gefunden und mir gesagt hätte, dass wir Brüder sind, würde ich es wahrscheinlich immer noch tun. Stattdessen stellte er mich seinem College-Footballtrainer vor, arrangierte mein Stipendium und rettete mich aus dieser Welt.

Aber selbst nachdem ich so weit gekommen bin, denkt das Mädchen, in das ich mich verguckt habe, immer noch, dass ich zu schwer zu lieben sei. Das war wohl der Grund, warum meine Mutter in ihre eigene Welt verschwand und ich ohne Vater aufgewachsen bin. Ich war zu schwer zu lieben. Ich war ein Niemand, der nichts wert war, und das war alles, was ich jemals sein würde.

Bei diesem Gedanken wurde alles zu viel. Mein Kopf pochte und eine schmerzhafte Qual durchfuhr mich. Ich hatte das Gefühl, ich würde explodieren. Ich musste es herauslassen. Also tat ich es auf die einzige Weise, die ich kannte, heftete meine Augen auf das nächste geparkte Auto vor mir und ließ mich gehen.

Ich trat so fest ich konnte gegen die Tür und das Metall verbogen sich beim Aufprall. Es war nicht genug. Ich musste ein Krachen hören. Also ballte ich meine Faust und hämmerte gegen das Beifahrerfenster. Es gab nicht nach, also schlug ich härter zu. Schließlich explodierte das Glas in tausend Teile.

So laut es auch war, das war immer noch nicht genug. Als ich auf die Hintertür eintrat, verbeulte ich sie. Ich wollte gerade auf die Motorhaube klettern und meinen Fuß durch die Windschutzscheibe befördern, als mich etwas aufhielt. Es war eine Sirene. Sie erweckte mich, als wäre ich in einem bösen Traum gefangen gewesen.

Ich klärte meinen Kopf und schaute auf das, was ich angerichtet hatte. Ich hatte das Auto demoliert. Das war schlecht. Ich hatte die Kontrolle über mich verloren und das war das Ergebnis.

„Runter auf den Boden!“, schrie jemand hinter mir. „Ich sagte, runter auf den Boden.“

Ich hatte gerade alles ruiniert. Ich war dabei, mein Stipendium und meine einzige Chance auf ein Leben zu verlieren. Wenn ich ein klügerer Mensch wäre, wäre ich vielleicht weggerannt. Aber dazu hatte ich nicht das Zeug.

Ich hatte dies getan. Ich war derjenige gewesen, der alles Gute, was vor mir lag, ins Chaos gestürzt hatte, sonst niemand. Und ich würde nicht gegen meine selbstverschuldete Zerstörung ankämpfen.

Da ich nicht schnell genug auf die Knie kam, stieß mich jemand von hinten. Ich fiel auf das zerbrochene Glas. Bevor ich aufstehen konnte, zog jemand meine Handgelenke zusammen und brachte Handschellen an. Sie waren fest genug, um in meine Haut zu schneiden.

„Sie haben das Recht zu schweigen“, begann er.

Den Rest musste ich mir nicht anhören. Ich war damit vertraut. Ich würde ins Gefängnis gehen. Da ich mir keine Kaution leisten konnte, würden sie mich zwei bis drei Tage lang festhalten, bis ich vor den Richter kam.

Dort würde ich verurteilt werden. Und im Gegensatz zu der Zeit, als ich minderjährig war, würde mich dieses Verbrechen für den Rest meines Lebens verfolgen. Ich hatte mir das angetan. Und um ehrlich zu sein, wusste ich immer, dass es eine Frage der Zeit war, bis ich etwas vermasselte.

Ich folgte den Anweisungen der Polizei ohne Widerstand. Auf dem Rücksitz des Streifenwagens ließ ich meine Gedanken schweifen. Ich dachte an all die Dinge, die mich hierher gebracht hatten. Ich dachte an Kendall. Von all den Dingen, die ich bedauerte, stand die Tatsache, dass ich sie so verärgert hatte, ganz oben

Die Wahrheit war, dass die Party gestern Abend nicht das erste Mal gewesen war, dass ich sie gesehen hatte. Es war der Tag von Cages Abschluss. Wir hatten uns angesehen, während sie unter einem Baum stand und die Zeremonie beobachtete. Ich hatte gedacht, sie wäre das süßeste Mädchen, das ich je gesehen habe.

Sie war ganz in Schwarz gekleidet und hatte eine gewisse Schärfe. Das Durcheinander ihrer braunen Locken betonte ihre kantigen Züge. Und die Brille mit den runden Gläsern zur Abrundung ihres Harten-Mädchen-Looks, sagte mir, dass mehr in ihr steckte, als sie erahnen ließ.

In mir steckte mehr, als ich zugeben wollte. Ich war der Schläger, der Kampfclubs für Geld veranstaltete. Ich war bereit, jemanden im Handumdrehen auszuschalten. Aber alles, was ich jemals wollte, war, dass mich jemand festhielt und mir sagt, dass alles gut werden würde.

Als ich Kendall dort stehen sah, wollte ich das unbedingt für sie tun. Vielleicht würde das nie jemand für mich tun, aber ich könnte ihr Retter sein. Ich wollte sie beschützen. Ich wollte Kendall die Liebe geben, die ich nie haben konnte. Aber in dem Moment, in dem mir eine Chance gegeben wurde, vermasselte ich alles, indem ich ich selbst war.

Auf der Wache beantwortete ich alle ihre Fragen und wurde in meine Zelle gebracht. Es waren noch zwei andere Leute da. Der eine sah betrunken aus und der andere … nun, er sah aus wie ich, ein Schläger, dessen Zeit abgelaufen war.

Ich war nicht in der Stimmung zum Reden und sie waren es auch nicht. Dies war nicht mein erstes Mal im Gefängnis, also fühlte ich mich wohl, da ich wusste, dass ich eine Weile dort bleiben würde. Es überraschte mich also, als auf der anderen Seite der Gitterstäbe ein Polizist auftauchte und meinen Namen sagte.

„Nero Roman?“

„Das bin ich.“

„Du hast Kaution gestellt bekommen. Lass uns gehen.“

Ich stand auf, sicher, dass es sich um einen Fehler handelte. Aber wenn sie mich wegen eines Aktenfehlers rauslassen würden, war das auch okay. Als ich zurück zu dem Meer von Schreibtischen ging, überflog ich den Raum und entdeckte jemanden, den ich nicht erwartet hatte. Quin war die Freundin meines Bruders und sie sah ziemlich durch den Wind aus.

Wenn man bedachte, dass Quins Eltern Geld ohne Ende hatten und sie aufgewachsen war, um an Orten wie den Bahamas Urlaub zu machen, war es kein Wunder, dass sie auf einer Polizeiwache aussah, als würde sie sich gleich ins Hemd machen. Die einzige Frage war, was sie hier tat. Ich hatte mein einziges Telefonat nicht benutzt. Mir fiel niemand ein, der mir helfen würde.

Als ich auf Armeslänge herankam, schlang Quin ihre Arme um mich. Ihre Umarmung war aufrichtig und fest.

„Nero, was ist passiert? Was tust du hier? Und warum hast du mich nicht angerufen?“

Ich wollte gerade antworten, als jemand, den ich kannte, durch die Tür kam. Titus war mein Mitbewohner und ein Typ, den ich von zu Hause kannte. Er war von denselben beiden Leuten, Quin und meinem Bruder, inspiriert worden, die East Tennessee University zu besuchen. Er näherte sich und schlang auch seine Arme um mich.

„Was zum Teufel ist los, Mann? Und warum mussten wir von einem Typen vom Campus-Sicherheitsdienst erfahren, dass du hier bist?“

„Es ist nichts“, sagte ich ihnen. „Ich habe gerade ein Auto etwas beschädigt.“

„Etwas beschädigt?“, fragte Quin und trat zurück. „Sie sagten, du hättest ein Fenster und ein paar Türen eingeschlagen?“

„Wie gesagt, etwas beschädigt“, sagte ich mit der Andeutung eines Lächelns.

„Wieso das?“, fragte Quin und ihr niedliches Strebergesicht wurde streng.

Ich dachte an Kendall und wie sie mir gesagt hatte, ich solle zur Hölle fahren.

„Ich möchte nicht darüber reden. Habt ihr ein Auto dabei?“

„Ja, ich fahre“, sagte Titus zu mir und fuhr sich mit den Fingern durch sein struppiges, kaffeefarbenes Haar. „Ich parke draußen. Lass uns gehen.“

Wir drei gingen zu Titus’ Truck und fuhren schweigend zurück zum Campus.

„Wohin soll ich fahren?“, fragte Titus, als wir in die Campusstraße einbogen. „Setze ich alle ab oder fahren wir zu Quin zu unserem üblichen Sonntagsessen?“

Ich wollte ihn gerade bitten, mich zu unserem Wohnheim zu bringen, als Quin mir das Wort abschnitt.

„Zu mir. Cage kommt her und er wird alles darüber hören wollen. Das können wir genauso gut beim Essen machen.“

„Du hast es Cage nicht erzählt, oder?“, fragte ich Quin und fühlte deswegen einen Schmerz in meiner Brust.

„Er war der Erste, den ich anrief, nachdem Titus es mir erzählt hatte.“

Ich sah Titus an.

„Sieh mal, Mann, das Campus-Sicherheitsteam hat mir erzählt, dass du eines ihrer Autos demoliert hast und im Gefängnis sitzt. Wen sollte ich sonst anrufen? Sie ist die Einzige, die wissen würde, wie man dir einen Anwalt beschafft.“

„Du hast einen Anwalt gerufen?“, fragte ich Quin.

„Das musste ich nicht. Cage hat die Schule angerufen und konnte die Angelegenheit glätten. Er hat immer noch einen Stein im Brett, weil er die nationalen Meisterschaften gewonnen hat. Also musste ich nur deine Kaution hinterlegen und dich rausholen.“

„Also, werde ich mein Stipendium nicht verlieren?“

„Das habe ich nicht gesagt. Aber ich bin sicher, Cage wird dir alles erzählen, was du darüber wissen musst. Ernsthaft, Nero, was hast du dir dabei gedacht?“

Ich antwortete nicht.

„Also fahren wir zu Quin?“

Ich sah resigniert aus dem Fenster. „Ja.“

„Cool. Lou hat mir gesagt, dass sie heute Abend kein Date hat, sie wird auch da sein“, sagte Titus mit einem Lächeln.

Quin und ich sahen ihn an.

„Was? Sie und ich sind Freunde. Ich weiß, dass keiner von euch viel Erfahrung damit hat, Freunde zu haben, aber vertraut mir, zusammen Abhängen ist etwas, was Leute so machen.“

Ich wandte mich an Quin. Wir dachten beide dasselbe.

Titus und Quins Mitbewohnerin standen sich ziemlich nahe. Ich wusste, dass es nichts bedeutete, mit einem Mädchen befreundet zu sein. Und Titus war ein sehr freundlicher Typ. Aber ich konnte nicht anders, als zu denken, wie süß die beiden zusammen wirkten.

Das würde ich Titus niemals sagen, weil das nichts war, das ein Mann zu seinem Kumpel sagte. Außerdem was wusste ich schon von Beziehungen? Und nach dem, was mit Kendall passiert war, wurde mir klar, dass ich noch weniger wusste, als ich dachte.

Wir parkten vor Quins schickem Wohnheim, fuhren nach oben und wurden von Lou begrüßt.

„Du hast den Verbrecher mitgebracht“, sagte sie und starrte mich an. „Was ist es nun gewesen? Bewaffneter Raub? Einbruch?“

„Woher weißt du, was ein Einbruch ist?“, fragte Titus.

„Ich schaue Law and Order. Ich weiß solche Dinge.“

Quin schritt ein: „Ich glaube nicht, dass Nero darüber reden will. Also …“

„Es war ein klassischer Blitzeinbruch, nicht wahr? Denke nicht, dass du mich dazu bringen wirst, mich in dich zu verlieben, weil du diese ganze Bad Boy-Sachen hier durchziehst. Ich mag nette Jungs.“

Ich öffnete meinen Mund, um zu antworten.

„Okay, gut, wir können ausgehen. Aber wenn du mich nach einer betrunkenen Nacht des Liebesspiels schwängerst, bekomme ich das Baby und ich ziehe es nicht allein auf.“

Ich sah Lou fassungslos an und lachte dann. Wir alle taten das.

„Ich meine es ernst, Mr. Ich ziehe Nero Jr. nicht alleine auf.“

„Okay, ich verspreche es“, sagte ich ihr und fühlte mich plötzlich besser.

Titus ergriff das Wort: „Nun, da wir das geklärt haben, was haltet ihr alle von einer Runde Wavelength?“

Wavelength war unser Lieblingsspiel am Sonntagabend. Meistens war es bei Getränken und wenn alles deutlich weniger angespannt war.

Als Partner schnappte sich Titus natürlich Lou und ich bildete mit Quin ein Team. Nach ein paar Runden lief es gut. Dann kam Cage.

Mein Bruder war sauer. Ich konnte es ihm nicht verdenken.

„Warum zum Teufel hast du ein Auto von der Campuspolizei zertrümmert?“

„Es war ein Auto der Campuspolizei?“, fragte ich.

„Das wusstest du nicht?“

„Es war nicht so, als ob ich es auf jemanden abgesehen hätte. Ich war einfach sauer.“

„Wegen was?“

„Nichts“, sagte ich und wollte wirklich nicht darüber sprechen.

„Du willst es nicht sagen, was? Naja, darüber musst du reden. Die Schule ist bereit, dich dafür bezahlen zu lassen, anstatt Anklage zu erheben.“

„Das Geld habe ich nicht.“

„Du bist derjenige, der es zerstört hat. Du wirst derjenige sein, der dafür bezahlt.“

„Ich könnte es dir leihen“, bot Quin freiwillig an.

„Ich brauche dein Geld nicht“, blaffte ich.

„Pass auf, Nero. Sie versucht nur zu helfen.“

„Ich brauche ihre Hilfe nicht. Ich brauche niemandes Hilfe.“

„Wenn man bedenkt, dass sie diejenige war, die dich aus dem Gefängnis geholt hat, scheint das nicht ganz wahr zu sein, oder?“

Ich hielt die Klappe, weil ich wusste, dass Cage Recht hatte. Sobald ich aufhörte zu reden, tat Cage es auch. Mit bedeutend mehr Mitgefühl in seinen Augen kam er auf mich zu und legte seine Arme um meine Schulter.

„Nero, du hast ein aufbrausendes Temperament und das musst du in den Griff bekommen.“

„Ich versuche es.“

„Und trotzdem musste meine Freundin dich heute aus dem Gefängnis holen.“

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, gab ich zu.

Cage musterte mich. Ich glaube, er wusste auch nicht, was er sagen sollte.

„Ich werde mir etwas einfallen lassen. Ich werde mit der Schule sprechen und sehen, was wir uns einfallen lassen. Keine Sorge, wir werden das klären. Ich bin für dich da, Mann. Ich gehe nirgendwohin.“

„Keiner von uns“, fügte Titus hinzu.

„Ja“, stimmte Quin zu.

Ich sah die Leute um mich herum an und wischte mir eine Träne aus den Augen. Vielleicht käme alles in Ordnung. Vielleicht war ich nicht so allein, wie ich dachte.

 

 

Kapitel 3

Kendall

 

„Ahhh!“, schrie ich und wachte auf.

Ich sah mich um. Ich lag in meinem Bett und es war Morgen. Cory saß aufrecht da und starrt mich an. Sie sah erschrocken aus.

‚Es war nur ein Traum‘, sagte ich mir. ‚Nichts weiter.‘

„Evan Carter?“, fragte Cory und entspannte sich langsam.

„Evan Carter“, gab ich zu.

„Vergiss Evan Carter“, sagte mein Mitbewohner und gab mir damit ein besseres Gefühl.

Ich legte mich wieder hin und versuchte mich zu beruhigen. Ich konnte nicht sagen, ob die Albträume schlimmer wurden, aber sie wurden nicht besser.

Evan Carter war der Footballspieler, der meine Highschool-Jahre zur Hölle gemacht hatte, als mein erstes Jahr begann. Irgendetwas an mir konnte er nicht ausstehen. Ich habe immer angenommen, dass es daran lag, dass er ein engstirniger Mistkerl war, der jeden ins Visier nahm, der nicht wusste, wie er sich anpassen sollte. Aber wenn ich ehrlich zu mir war, war es auch nicht so, als hätte ich es wirklich versucht.

Ich experimentierte mit meiner Haarfarbe, haarsträubendem Make-up und der Art der Kleidung, die ich trug. Vielleicht ging es ihm ein bisschen zu weit, dass ich mich monatelang wie ein Junge gekleidet hatte. Ich kämpfte nicht dafür, das Patriarchat zu stürzen oder so. Ich hatte nur ein bisschen Spaß. Ich versuchte herauszufinden, wer ich war.

Zu deiner Information, ich bin kein Mädchen, das Jungenklamotten oder haarsträubendes  Make-up trägt. Und es liegt nicht daran, dass Evan Carter mich nach Strich und Faden schikanierte, wenn ich es tat. Es ist einfach nicht mein Ding.

Aber an einen Punkt hielten die Football-Rindviecher meine Modewahl nicht mehr aus. Sie sagten mir, dass wenn ich mich wie ein Junge aufführen will, sie mich wie einen behandeln werden. Von da ab schubsten sie mich jedes Mal, wenn sie auf den Fluren an mir vorbeigingen. Ich würde zu Mittag essen und mein Kopf würde nach vorn geschleudert, gefolgt von dem Schmerz ihrer offenen Handfläche.

Und ebenso regelmäßig stießen sie mich in die Jungenumkleide, während sich gerade jemand darin umzog.

Sie ergriffen jede Gelegenheit, mich vor so vielen Menschen wie möglich zu erniedrigen. Das Schlimmste war, dass ich ihre Angriffe nie kommen sehen konnte. Es kam so weit, dass ich meinen ganzen Schultag damit verbrachte, Zimmer nach ihnen abzusuchen.

Wenn ich einen entdeckte, musste ich mich so unsichtbar wie möglich machen. Wenn sie mich sahen, konnten sie angreifen oder auch nicht. Es war immer wie zufällig. Aber wenn sie beschlossen hatten, dass heute mein Höllentag war, war ich nirgendwo sicher.

Und wenn es nicht die körperliche Misshandlung war, dann die ständigen Sticheleien, wie flachbrüstig ich doch war. Ich weiß, dass jeder Körper schön ist, aber niemand will jeden Tag an so etwas erinnert werden.

Und genauso das Wort ‚Lesbe‘, wenn ich das noch einmal höre, denke ich, werde ich ausflippen. Es wäre etwas anderes gewesen, wenn ich tatsächlich auf Frauen gestanden hätte, aber das tat ich nicht. Ich zog mich nur so an … was mir auch keinen echten Gefallen tat, wenn man an all die Mädchen dachte, die sich mir gegenüber outeten, weil sie dachten, dass ich lesbisch war.

Im letzten Highschool-Jahr weinte ich, wenn ich mich morgens anzog, weil ich wusste, dass das, was ich anzog, mir Evans Zorn einbringen würde.

Ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich es gar nicht mehr tragen wollte. Aber ich tat es trotzdem, weil … wer wusste schon warum? Ich weigerte mich einfach nachzugeben.

Vielleicht machte ich mit meiner Kleiderwahl weiter, um mir selbst zu beweisen, dass ich dem Druck nicht nachgeben würde. Vielleicht wollte ich Evan nicht die Genugtuung geben, zu denken, er hätte gewonnen. Vielleicht konnte ich nur nicht genug von der Bestrafung bekommen.

Was auch immer der Grund war, ich tat es und hatte kaum noch Lebenswillen, als die Highschool zu Ende war. Ich war so froh, mit der Universität angefangen und das alles hinter mir gelassen zu haben. Ich konnte mich kleiden, wie ich wollte, und ich konnte wirklich Ich sein. Ich dachte, es sei das Größte, bis die Albträume anfingen.

Zugegeben, sie waren immer da. Aber jetzt hatten sie sich zugespitzt und konzentrierten sich auf eine Person, Evan Carter. Er war der Anführer der Gruppe. Ich glaube immer noch, dass mich der Rest ohne diesen Idioten in Ruhe gelassen hätte.

Ich werde es wohl nie sicher wissen, aber ich bin davon überzeugt, dass ich in der Highschool die Schlachten und den Krieg verloren habe. Ich war nicht nur diejenige, die jeden Tag durch die Hölle gegangen ist,  Evan Carter hatte auch noch Jahre später einen Platz in meinem Kopf. Das war so unfair.

Das Schlimmste daran war, dass die Albträume bis letzte Nacht zu verblassen begannen. Früher hatte ich sie bis mehrere Male pro Woche. Cory weiß alles darüber. So oft wie ich sie schreiend geweckt hatte, ist es ein Wunder, dass sie immer noch bereit war, meine Mitbewohnerin zu sein.

Es war zwei Wochen her gewesen bis zu meinem Schreifest von letzter Nacht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich weiß, was es ausgelöst hat. Ich hatte einen Footballspieler geküsst. Bei dem Gedanken musste ich mich beinahe übergeben. Sicher, Nero war nicht wie Evan Carter oder einer seiner schrecklichen Freunde, aber trotzdem.

Footballspieler haben mein Leben zu einem höllischen Albtraum epischen Ausmaßes gemacht, seit ich 14 Jahre alt war. Sie bedrohten meinen Lebenswillen. Ich wache wegen ihnen schreiend und schweißgebadet auf. Ich wollte jetzt nicht am Gesicht eines Footballspielers lutschen.

„Gehst du zum Unterricht?“, fragte Cory, die ihr Bett nicht verlassen hatte.

„Oh verflixt!“, rief ich aus, als ich mich an meinen frühen Montagmorgenunterricht erinnerte.

Mein Professor musste ein Sadist sein. Wer setzte an einem Montag um 8 Uhr morgens einen Pflichtkurs an? Das war lächerlich. Aber wenn ich Klinischer Psychologe werden wollte, musste ich Psychologie als Hauptfach studieren und diesen Kurs belegen.

Ich krabbelte aus dem Bett und zog mich schnell an. Ich machte mich fertig, packte meinen Rucksack und eilte hinaus. Ich kam zu spät zum Kurs, aber um 8 Uhr morgens waren Verspätungen relativ zu sehen.

„Heute werden Sie den T.E.Q., den Toronto Empathiefragebogen, ausfüllen. Das wird uns nicht nur in unsere Diskussion über Empathie leiten, es wird Euch Möchtegerntherapeuten da draußen auch sagen, ob Sie der Richtige für den Job sind“, sagte mein Professor plötzlich und zog meine Aufmerksamkeit auf sich.

Ich wollte unbedingt Therapeut werden. Es war das Einzige, was ich wollte, seit ich 12 war. Ich hatte ein Psychologiegrundlagenlehrbuch von vorne bis hinten gelesen, als ich 15 Jahre alt war, weil ich so daran interessiert war. Ich musste bei diesem Test gut abschneiden.

Als das Papier vor mir hingeschoben wurde, sah ich, dass es nicht sehr lang war. Die Fragen waren auch ziemlich einfach. Ich schrieb meinen Namen darauf und begann.

‚Wenn jemand aufgeregt ist, neige ich dazu, auch aufgeregt zu sein; nie, manchmal oder immer?’

Einfach. Ich kann es ziemlich gut verstecken, aber ich bin es immer.

‚Das Unglück anderer Leute stört mich nicht sehr; nie, manchmal oder immer?’

Wieder ganz einfach. Nie … normalerweise.

Ich meine, wenn es eine normale Person wäre, auf die sich diese Frage bezieht, nehme ich an, dass ich mich über das Unglück eines anderen nie gut fühle. Aber nehmen wir an, Evan Carter wird von einem Bus angefahren. Ich behaupte nicht, dass er stirbt … unbedingt. Ich rede nur davon, dass er einen Bruchteil des Schmerzes empfindet, den er mir vier Jahre lang zugefügt hat.

Die Frage kann sich nicht auf solche Situationen beziehen, oder? Oder doch? Wollte der Fragebogen die dunkelsten Gedanken ausgraben? War mein Mangel an Empathie für einen Psychopathen, der mich gefoltert hat, was mich zu einem schlechten Therapeuten machte?

Ich starrte die Frage wie gelähmt an. Daran kam ich nicht vorbei. Ich konnte nicht glauben, dass nach allem, was er mir angetan hatte, das Echo davon mich davon abhalten konnte, das Einzige zu werden, was ich jemals wollte.

„Bitte geben Sie Ihre Unterlagen weiter“, sagte mein Professor und riss mich aus meiner Trance.

„Ich bin noch nicht fertig“, sagte ich dem penetranten Mädchen, das mir meinen Zettel abnahm und den Stapel weiterreichte.

Sie zuckte mit den Schultern und erkannte meinen Kampf kaum an. Ich wusste genau, dass diese Eiskönigin eine schreckliche Therapeutin abgeben würde. Aber was war mit mir? War Empathie wirklich so wichtig?

Auf diese Frage musste ich nicht lange warten. Zwei Tage später bat mich mein Professor, ihn zu sehen, bevor ich ging.

„Zu Beginn des Semesters habe ich Sie alle nach Ihren Zielen für diesen Kurs gefragt“, begann Professor Nandan.

„Ja. Und ich sagte, dass ich Therapeut werden möchte, weil ich das wirklich will.“

Er sah mich verwirrt an. „Genau. Was mich dazu bringt, mich zu fragen, warum Sie dies auf einem Fragebogen tun würden, mit dem ich Ihr Maß an Einfühlungsvermögen ermitteln will“, sagte er, bevor er mein Blatt zwischen uns auf den Schreibtisch legte.

„Ich weiß, ich habe es nicht beendet.“

„Das haben Sie nicht. Aber das ist nicht das, was ich meine“, sagte er und tippte mit seinem Finger neben das Gekritzel, das ich in die obere rechte Ecke des Papiers gezeichnet hatte.

Als ich es noch einmal ansah, stellte ich fest, dass es weniger Gekritzel war, sondern eher eine Skizze. Ich war dafür bekannt, Dinge zu zeichnen, wenn mir langweilig war, und es waren nicht immer glückliche Bilder. Dieser war definitiv nicht glücklich und hatte eine Botschaft, die kaum zu übersehen war.

„Sie haben einen an einer Schlinge hängenden Footballspieler in die Ecke eines Empathiefragebogens gezeichnet? Gibt es etwas, worüber Sie gerne sprechen möchten, Miss Seers?“

Mein Mund klappte auf, als ich zu dem runden Gesicht des Mannes vor mir aufsah. Es stand außer Frage, was dies inspiriert hatte. Der dämliche Evan Carter.

„Okay, ich kann es erklären“, fing ich an, wusste aber nicht, was ich als Nächstes sagen würde.

„Ich bitte darum“, drängte er geduldig.

Wollte ich lügen? Ihm die Wahrheit sagen? Dies fühlte sich wie ein Szenario an, in dem ich nicht gewinnen konnte.

„Ich könnte ein Problem mit Footballspielern haben.“

„Was Sie nicht sagen“, erwiderte er sarkastisch.

„Und vielleicht bin ich aus einem bösen Traum über einen von ihnen aufgewacht, kurz bevor ich zum Unterricht kam.“

„Wollen Sie über diesen Traum sprechen?“

„Nicht wirklich. Es war ein ziemlich normaler Albtraum. Viel Verfolgung. Viel Laufen. Wissen Sie, das Übliche.“

„Und dann sind Sie hergekommen und haben das … auf einen Empathiefragebogen gezeichnet?“

„Scheint so“, sagte ich mit einem betretenen Lächeln.

Professor Nandan lehnte sich in seinem Stuhl zurück und musterte mich. Ich konnte nicht sagen, was er dachte, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass es etwas Gutes war.

„Die Art und Weise, wie wir mit Kindheitstraumata umgehen, ist für jeden von uns einzigartig“, begann er. „Einige von uns entscheiden sich dafür, sie zu vermeiden. Aber die effektivste Strategie für ein gesundes, glückliches Leben besteht darin, Probleme direkt anzugehen.“

„Sie schlagen vor, dass ich deswegen zu einem Therapeuten gehen sollte?“

„Es würde nicht schaden. Aber die Forschung zeigt, dass der effektivste Weg, Empathie für eine Gruppe zu gewinnen, darin besteht, sie zu vermenschlichen.“

„Ich glaube nicht, dass Footballspieler keine Menschen sind. Sie sind einfach die schlimmsten, die es je gegeben hat.“

Mein Professor sah mich seltsam an.

„Okay. Aber Sie akzeptieren schon, dass nicht jeder, der ein Merkmal teilt, gleich ist? Nicht jeder Footballspieler ist gleich. Genauso wie nicht jeder Student, der sich ganz in Schwarz und Nietenarmbändern kleidet, gleich ist. Wir sind alle einzigartige Individuen.“

„Was schlagen Sie vor?“, fragte ich und spürte, wie sich ein Knoten in meiner Brust zusammenzog.

„Ich schlage vor, Sie lernen einen Footballspieler kennen. Ich denke, wenn Sie ihre Individualität sehen, kann dies viel dazu beitragen, die negativen Gefühle, die Sie ihnen gegenüber haben, zu lindern. Es könnte sogar bei Ihren Träumen helfen.“

„Und wie meinen Sie lerne ich einen Footballspieler kennen?“

„Interessanterweise gibt es ein Programm, das ich seit einigen Jahren versuche zusammenzustellen. Es ist eine Art Mentoring-Ding. Studenten höherer Semester werden mit Erstsemestern zusammengebracht, die sich schwer an das Universitätsleben gewöhnen, um als jemand zu fungieren, auf den sie sich verlassen können. Wenn man bedenkt, dass Ihr Ziel darin besteht, Therapeut zu werden, könnte das ganz gut passen.“

„Das klingt gut. Aber ich vermute, was Sie nicht sagen, ist, dass ich einen Footballspieler betreuen würde.“

„Einer ist wegen seines Verhaltens ein wenig in Schwierigkeiten geraten. Und anstatt ihn von der Schule und dem Footballprogramm zu verweisen, dachte sich die Universität, dass so etwas hilfreich wäre.“

Ich schaute meinen Professor an. Schlechteste Idee aller Zeiten! Nicht per se. Der Mentorenteil klang ziemlich cool. Aber der Teil, dass ich mit einem dieser Schweine werfenden Psychopathen in einem Raum eingesperrt war, war Wahnsinn.

Wollte er mich töten? Sobald die Tür geschlossen und wir allein waren, würde dieser Typ seinen Kiefer ausrenken und mich ganz verschlingen. Nachdem er mich verschlungen hatte, würde er sich höchstwahrscheinlich nach Washington D.C. schlängeln und an Größe wachsen, bis er mit seinem Schwanz um das Washington Monument gewickelt den Präsidenten auffressen würde und die Vereinigten Staaten in eine dämonische Diktatur verwandelte … oder reagierte ich über?

„Ja“, sagte ich, bevor es sich in meinem Gehirn registrierte. „Ich werde es tun.“

„Werden Sie?“

„Scheint so.“

„Sind Sie sicher?“

„Nein. Und ja. Hören Sie, ich möchte eines Tages ein guter Therapeut werden. Nein, ich will nicht nur gut sein. Ich möchte großartig sein. Ich möchte Menschen helfen. Ich möchte, dass Kinder nicht das durchmachen müssen, was ich erlebt habe. Und wenn das bedeutet, mein Problem mit einer bestimmten Gruppe dämonischer Seelsauger zu konfrontieren, werde ich es tun.“

Professor Nandan sah mich fragend an.

„Ich mache Witze … meistens jedenfalls. Nein, ich mache nur Witze. Ich kann das tun. Und Sie haben recht. Die direkte Auseinandersetzung mit meinem Problem ist der beste Weg, damit umzugehen.“

„Dann richte ich es ein. Danke dafür. Wenn das mit Ihnen und ihm klappt, könnte das dazu führen, dass viele Menschen noch jahrelang Hilfe bekommen“, sagt er mit einem Lächeln.

„Mit anderen Worten, kein Druck?“

Er lachte. „Kein Druck. Seien Sie einfach Sie selbst. Es geht nicht darum, dass Sie ihm Antworten geben können. Es geht darum, für ihn da zu sein und ihm Ihr Ohr zu leihen, wenn er es braucht.“

„Das könnte ich machen.“

„Das werden Sie großartig machen“, sagte er, bevor er versprach, mir die Details per E-Mail zu schicken und mich entließ.

Es war gut, dass niemand wirklich Schlaf brauchte, um bei Verstand zu bleiben. Denn wenn dem so wäre, hätte ich in eine Menge Ärger am Hals. Weil ich im Dunkeln im Bett lag und nur an all das denken konnte, was Evan Carter und seine Teamkollegen mir angetan hatten.

Ich wusste nicht, was ich mir gedacht hatte, als ich dem zustimmte. Es war eine schlechte Idee, einen Footballspieler zu betreuen, eine sehr schlechte Idee.

Das würde mich jedoch nicht davon abhalten, es durchzuziehen. Wer war ich, eine schlechte Idee abzulehnen?

Als ich zum vereinbarten Treffpunkt ging, war meine Kleidung durchgeschwitzt. Ich hatte eine Panikattacke. Wir trafen uns in einem Büro in der Übungsanlage der Footballmannschaft, der Schlangenhöhle. Wenigstens würde mein Professor bei mir sein.

„Sind Sie bereit dafür?“, fragte er mich ebenso aufgeregt wie erschrocken.

„Nein, aber ich bin hier. Also machen wir’s.“

Professor Nandan legte seinen Arm um meine Schulter und führte mich in den Raum. Das Monster saß mit dem Rücken zu mir. Das Komische war, dass ich seinen Rücken erkannte. Er war unverkennbar. Und als er sich umdrehte und ich einen Blick auf seine anbetungswürdigen Wangenknochen erhaschte, hielt ich das für einen grausamen Scherz.

„Du?“, fragte ich fassungslos.

„Kennen Sie beide sich?“, fragte mein Professor.

Wir sahen uns an. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte.

„Wir haben uns kennengelernt“, antwortete Nero.

„Ich hoffe, das ist gut“, schlug mein Professor vor.

Nero sah mich wieder an. „Ja“, bestätigte er und erlaubte meinem Professor durchzuatmen.

„Dann muss ich euch vielleicht nicht vorstellen. Aber, Nero Roman, das ist Kendall Seers. Kendall, Nero ist ein sehr vielversprechender Footballstar.“

„Das würde ich nicht sagen“, warf Nero schnell ein.

„Ich habe dich spielen sehen. Du bist sehr gut“, schwärmte der ältere Mann.

„Danke“, sagte Nero und sah verlegen weg.

„Und Kendall hier ist eine meiner vielversprechendsten Studenten.“

„Das bin ich“, bestätigte ich. „Wahrscheinlich die Beste.“

Ich habe keine Ahnung, warum ich das gesagt hatte. Aber es brach die Anspannung. Zumindest bei den beiden.

„Davon weiß ich nichts“, scherzte mein Professor. „Aber sie ist sehr gut. Bei ihr sollten Sie in guten Händen sein. Soll ich euch beide zum Kennenlernen allein lassen?“

„Ich sehe keinen Grund, warum nicht“, sagte Nero und sah mich an, als hätte ich ihm nicht ins Gesicht gespuckt, und ihn mit Schmutz beworfen, als ich bei unserem letzten Treffen weggegangen war.

„Sehr gut. Dann bin ich weg“, sagte der strahlende Mann, ließ uns allein und schloss die Tür hinter sich.

Wir sahen uns an. Es wäre das Schlimmste auf der Welt gewesen, wenn er nicht so heiß gewesen wäre. Im Ernst, wie konnte jemand so gut aussehen?

„Also, worüber willst du reden?“, fragte er mich lächelnd. Gott hatte er ein tolles Lächeln.

Ich hatte zuvor gedacht, dass ich schwitzte. Jetzt stand ich praktisch in einer Pfütze.

„Bist du heiß hier drin?“, fragte ich. „Ich meine DIR! Ist DIR heiß hier drin? Möchtest du rausgehen? Lasst uns von hier verschwinden. Ich brauche frische Luft. Ich kann hier nicht atmen.“

„Geht es dir gut?“, fragte er besorgt.

„Ich muss nur spazieren gehen. Können wir spazieren gehen?“

„Was immer du willst“, sagte er voller südlichem Kleinstadtcharme.

Wir verließen die Trainingseinrichtung und gingen schweigend zum Campus zurück. Auf halbem Weg wurde mir klar, dass ich nicht in der Lage sein würde, dem hier davonzulaufen, also ging ich zu einer Bank und setzte mich. Nero setzte sich neben mich. Ich konnte ihn riechen. Er roch nach Leder und Moschus. Der Geruch hinterließ ein prickelndes Gefühl. Was tat ich da, wegen eines Footballspielers aufgeregt zu sein?

„Woher wusstest du das?“

„Woher wusste ich was?“, fragte ich ihn und sah ihn immer noch nicht an.

„Dass dies mein Lieblingsplatz ist. Ich kann mich nicht erinnern, dir das in der Nacht, in der wir uns trafen, gesagt zu haben.“

„Das ist dein Lieblingsplatz?“, fragte ich mich endlich zu ihm umdrehend.

„Ja. Ich lege hier jeden Tag nach dem Training einen Stopp ein. Training ist immer viel, weißt du. Alles kann viel sein. Das ist also die Bank, auf der ich sitze, um meine Gedanken zu sortieren.“

Ich sah mich um. Ich hatte in meinen Jahren hier nicht viel Zeit in dieser Ecke des Campus verbracht. Aber es war ein wunderschöner Ort. Hier gab es mehr Bäume als in jedem anderen Fleck. Und mit den bunten Herbstblättern, die den Boden bedeckten, sah die Szene wie eine Postkarte aus.

„Was genau ist es, was zu viel wird?“, fragte ich und fühlte mich plötzlich ruhiger.

Neros Lächeln verschwand. „Alles. Training. Kurse. Gefühle zu haben, die ich wahrscheinlich nicht haben sollte.“

Ich sah Nero an und fragte mich, was das für Gefühle waren. „Darf ich dich etwas fragen?“

„Was denn?“

„Ist diese südliche Charme Sache von dir eigentlich nur geschauspielert?“

Nero rutschte unbehaglich herum. Ich glaube nicht, dass er auf die Frage vorbereitet war.

„Du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht willst.“

„Es ist nicht so, dass ich es dir nicht sagen will.“ Nero machte eine Pause, schaute zum Himmel hinauf und atmete tief durch. „Lass mich dir eine Gegenfrage stellen. Ist dieses eigenwillige, Ich-mag-niemanden Getue von dir eigentlich nur geschauspielert? Denn als wir uns auf der Party unterhalten haben, warst du ganz anders.“

Ich sah ihn an wie ein Reh im Scheinwerferlicht.

„Ich war an dem Abend wirklich betrunken.“

„Bedeutet das nicht, dass du deinem wahren Ich viel näher warst?“