VERSOHLEN IHRER KURVEN 4

Theresa McGovern versuchte, nicht allzu aufgeregt zu sein, als sei die Türe zu dem Büro an der Ecke öffnete. Sie war etwas zu früh für ihren Termin mit dem Unternehmensberater Hr. Cortez. Die Kapitalgesellschaft übeließ es ihm, potentielle Führungskräfte ausfindig zu machen und diese dann in echte leitende Angestellte und Geschäftsführer auszubilden.

Es gab sogar Gerüchte, dass sein Urteil eine Karriere beenden oder erst starten konnte. Sie wusste selbst nicht, warum er diesen Termin mit ihr vereinbart hatte. Da sie zu früh war, zappelte sie unruhig umher währen seine Sekretärin ihre Nervosität höflichst zu übersehen schien.

Als sie das Büro betrat überkam sie sogleich ein Gefühl der Ehrfurcht. Die wandhohen Fenster gaben einen Blick auf die ganze Stadt preis. Der Raum war ein funkelndes Meisterwerk, das um erlesene prächtige Wände aus Mahagoni und Ledereinrichtung gebaut worden war.

Das Büro war sogar eines Königs angemessen. Und er war auch stimmig mit den Gerüchten, dass Hr. Cortez ein Billionär war, der sehr auf seine Privatsphäre achtete und unglaublichen Einfluss hatte. Er traf sich seltenst mit Anderen in Person und zog es vor, Meetings über Kamera zu verfolgen. Wenn er dann einen Beitrag abgab, war dies meist über Telefon oder E-Mail.

Als sie so im Türrahmen stand, musste Theresa wieder an die Vorstellung zum Carter Projekt Ihrer Abteilung zurückdenken. Das war vor einer Woche gewesen und Theresa als die stellvertretende Filialleiterin hatte von den insgesamt 3 Stunden einen 3-minütigen Vortrag halten dürfen. Sie war sich nicht sicher, wie ihre Präsentation gelaufen war, aber da sich niemand beschwert hatte, hatte sie angenommen, dass sie die Sache gut über die Bühne gebracht hatte.

            Nach der Präsentation wurde jedoch gemunkelt, dass Hr. Cortez sich eine der Videoaufzeichnungen des Raumes angesehen hatte. Das war bestimmt der Grund, dass er überhaupt ihren Namen kannte. Aber ihre 3 Minuten hatten sich doch sicherlich in dem ganzen verloren, oder? Es stand außer Frage, dass diese kurze Präsentation der Grund für das Treffen heute war, sie konnte sich allerdings wirklich nicht erklären, wie irgendetwas, das sie gesagt hätte, dazu führen konnte, dass sie jetzt auf seiner Schwelle stand. Sie hatte noch nie gehört, dass Hr. Cortez jemanden gefeuert hätte, aber mit seinem Einfluss war das sicher kein Ding der Unmöglichkeit.

“Sie dürfen sie schließen”, unterbrach eine gebildete Baritonstimme ihre beunruhigten Gedanken. “Wir werden hier drüben sein.”

Theresa unterdrückte ein erschrockenes Aufkeuchen und wandte sich nach rechts. Er saß an einem runden Tisch in der Ecke, entfernt von den Fenstern. Die Regale voll Bücher hinter ihm ergaben eine luxuriöse Kulisse, die seine Autorität noch unterstrich. Sie nickte, schluckte hörbar, schloss dann die Tür und überredete ihre Beine, sich in Richtung des leeren Stuhles ihm gegenüber zu bewegen.

All das Gerede über Herrn Cortez hatte sich nur auf seinen Reichtum und seine Macht bezogen. Sie hatte nicht erwartet, dass er so jung war. Sie nahm an, dass er nur ein paar Jahre älter war als sie selbst. Er war eindeutig ein zielstrebiger Mensch, da er in so jungen Jahren schon so viel erreicht hatte.

Er blätterte langsam durch die Seiten einer schmalen Mappe, die offen vor ihm auf dem Tisch lag. Theresa nutzte diese Gelegenheit, um diese lebende Legende, von der viele sprachen, die jedoch sehr wenige schon selbst gesehen hatten, genauer zu betrachten.

Sein dichtes schwarzes Haar war gerade lang genug, um sich adrett um sein Gesicht zu locken. An den Schläfen bildeten sich schon einige silberne Strähnen, fast als hätte er sie eingefärbt, um einen Schein der Reife zu erwecken, der Klienten zu beruhigte, die sonst an seiner Kompetenz gezweifelt hätten. Es zeigten sich freilich keine solche Zeichen des Alterns an seinem Gesicht oder den Händen, die fein und eben waren.

Während seine dunklen Augen über die Seite wanderten, verzog sich ein Winkel seines vollen, wohlgeformten Mundes zu einem angedeuteten Lächeln oder Grinsen. Sein kohlrabenschwarzer Anzug war offensichtlich eine Spezialanfertigung, nicht nur auf ihn zugeschnitten. Im Vergleich zu der unauffälligen Eleganz des Gewands fühlte sie sich ein wenig schäbig, obwohl ihre eigene Kleidung auch von guter Qualität war.

Als er wieder eine Seite weiterblätterte, schenkte er ihr endlich einen kurzen Seitenblick, der jedoch allein schon denselben Effekt hatte, wie ein Befehl. “Frau McGovern”, sagte er, die Hand leicht auf das Papier vor sich legend. Der weiche blaue Schlag seines Hemdes, der genau einen Zoll weit unter seinem Jackett herausschaute war mit kunstvollen Spangen anstatt Knöpfen befestigt. “Wissen Sie, was meine Aufgabe in diesem Unternehmen ist?”

Sie nahm sich einen Moment Zeit, um Ihre Gedanken zu ordnen, als er seinen Blick wieder der Mappe vor sich zuwandte. Sie warf ebenfalls einen flüchtigen Blick darauf und stellte zu ihrem Erstaunen fest, dass es ihre eigene Arbeitsakte war. Was sie gerade hatte sagen wollen entfiel ihr in einem neuen Anflug von Nervosität. Würde er sie feuern?

Als ihr Blick durch den Raum schweifte, bemerkte sie andere Mappen auf der Seite des Tischs, wahrscheinlich andere Arbeitsakten, alle in dickeren Ordnern als Ihre und alle in schwarzen anstatt blauen Mappen. Sie runzelte leicht die Stirn. Sie war sich nicht ganz sicher, da sie nicht im Personalmanagement tätig war, aber sie glaubte, dass nur für einen Manager oder höher die Akte in einer schwarzen Mappe abgelegt wurde. Ihre war die einzige blaue Mappe auf dem Tisch.

Da sie die Antwort schuldig blieb, schaute Hr. Cortez erneut auf. “Frau McGovern?”

“Ja”, sagte sie schnell, “Sie wurden angeheuert, um bei der Umstrukturierung zu helfen, Herr Cortez.”

“Ich bin hier”, korrigierte er, “um den nächsten Geschäftsleiter auszusuchen. Herr Bell ist zurückgetreten. Einer dieser Kandidaten hier wird sein Nachfolger werden.” Er schloß die blaue Mappe und legte sie zu den schwarzen. In ihrer Verwirrung zogen sich Theresas Brauen zusammen. Das war sicherlich ein Irrtum, oder ein gemeiner Scherz, der ihr da gespielt wurde.

“Herr Cortez, ich glaube ich verstehe nicht recht”, sie faltete ihre Hände, um ihre Finger vom Zittern abzuhalten. “Ich gehöre nicht zur oberen Führungsebene. Natürlich, ich habe in der Berufsschule gut abgeschnitten und auch davon geträumt, einmal ein Unternehmen zu führen, aber…”

Der Unternehmensberater musterte sie, währen sie sprach. Sein Blick und Gesichtsausdruck schienen anzudeuten, dass jedes Wort, dass sie von sich gab von größter Wichtigkeit war. Als sich ihre Stimme verlor faltete auch er seine Hände vor sich, die wertvollen Spangen an seinem Hemdschlag schienen sie daran zu erinnern, was harte Arbeit einem im Leben alles bringen konnte. “Aber was, Frau McGovern?”

“Aber”, wiederholte Theresa und blickte auf ihre gefalteten Hände hinunter. Sie konnte es nicht laut aussprechen, er würde es nicht verstehen. Ihre Arbeit wurde immer gelobt und sie hatte sich auch immer bereit erklärt, Zusatzleistungen zu erbringen, sogar außerhalb ihres normalen Aufgabenbereichs. Aber trotzdem, Beförderungen hatten lange auf sich warten lassen. Andere, die zur gleichen Zeit beschäftigt wurden wie sie waren längst Manager oder höher, sogar die, die nach ihr gekommen waren wurden schon über sie hinausbefördert.

Sie hob ihren Blick und stellte fest, dass er sie immernoch geduldig beobachtete, als ob er bereit wäre, ihr so lange Zeit zu lassen, wie notwendig war. Es war als ob sie ein wichtiger Kunde wäre, anstatt nur eine Stellvertretende Filialleiterin, die nicht einmal dazu in der Lage war, ihr eigenes Team zu leiten.

Etwas in seinem Blick ermutigte sie. Vielleicht war es egal, wenn er es nicht komplett verstand. Das unausgesprochene Versprechen in seinem Blick sagte ihr, dass er ihr zuhören und nicht darüber urteilen würde, was sie sagte.

“Was ich jetzt sage stimmt wahrscheinlich überhaupt nicht”, sagte sie leise und zwang ihre Hände zum entspannen. “Es fühlt sich wahrscheinlich nur für mich so an. Ich bin sicher, der wahre Grund steht da in meinem Arbeitsakt. Aber ich bin sozusagen auf dem Hoch meiner Karriere angekommen. Ich bin seit Jahren stellvertretende Filialleiterin und es kommt mir so vor, als… als würden sie bevorzugt werden, oder sowas… Die Leute, die über mich befördert werden sind in meinem Job nicht besser als ich. Aber sie sind schlanker, und hübscher.”

“Ah ja”, antwortete ihr Hr. Cortez in ernstem Ton. Er wartete, dass Theresa ihn wieder anschaute. “Frau McGovern, ich habe ihren Arbeitsakt sorgfältig durchgesehen. Aber ich habe nicht die geringste Spur davon gefunden, dass solch eine Bevorzugung hierbei eine Rolle gespielt hat.

“Das war auch nur ein Gefühl von mir”, sagte sie fast unhörbar. Sie fühlte sich unfassbar dumm.

“Ich verstehe sie”, behauptete der Berater, “Manchmal können solche Gedanken in Geschäftsangelegenheiten recht nützlich sein, Frau McGovern. Nicht alles kann in einer Tabelle dargestellt oder in einer Arbeitanweisung erläutert werden.” Sie traute sich wieder, zu ihm hochzuschauen. Er lächelte leicht.

Theresas Herz setzte einen Schlag aus. Es war immer noch der selbe Mann, der vor ihr saß und seine Stellung und sein Einfluss waren immer noch angsteinflößen ….