IMMER ÄRGER

Kapitel 1

Kendall

 

Wie oft hast du etwas in deinen Mund genommen und gedacht: ‚Das schmeckt nicht gut. Soll ich das etwa herunterschlucken?‘ Und dann tust du es und bereust es. Doch nur Augenblicke danach vergisst du, wie sehr du es gehasst hast und nimmst mehr davon in den Mund?

Nun, das ist mir gestern Nacht passiert, und heute Morgen zahle ich den Preis dafür. Wie kann jemand nur Whiskey trinken? Er schmeckt nach Dreck und es ist, als würde man Lava schlucken. Ich hätte ihn nur in meinem Mund behalten und wieder ausspucken sollen, wenn niemand hingeschaut hätte. Niemand erwartet, dass man schluckt, nicht wahr? Es geht nur darum, dass man da ist und sich die Mühe macht.

Okay, das war’s für mich. Ich weiß, dass es ein Klischee ist, mit einem Kater aufzuwachen und zu behaupten, dass man nie wieder einen Tropfen Alkohol anrührt. Aber ich werde das wirklich nicht tun. Ich werde nie wieder etwas trinken. Keinen Wein, keinen Whiskey, nicht einmal Cidre. Ich bin durch mit dem Trinken. Und wenn ich schon mal dabei bin, sollte ich meine Beziehung zu lauten Geräuschen und der Sonne überdenken.

„Kannst du das bitte sein lassen?“, fragte ich meinen Zimmergenossen Cory, ehe ich stöhnte und mich elendig fühlend herumdrehte.

„Ich habe meine Hosen angezogen“, erwiderte Cory verwirrt.

„Und kannst du das leise machen?“

„Wie viele Arten, seine Hosen anzuziehen gibt es?“

Ich grunzte. „Mir geht’s nicht gut.“

„Soll ich dir ein Glas Wasser oder so bringen? Ich gehe los, um Frühstück zu holen. Soll ich dir einen Bagel mitbringen?“

Ich dachte über einen Bagel mit Frischkäse und Räucherlachs nach und übergab mich beinahe. Was hatte Cory vor, mich umzubringen? Unser Wohnheimzimmer war nicht sehr groß, versuchte er es für sich allein zu haben? Ich stöhnte als Antwort und kroch zu einem Ball zusammen.

Cory blieb einen Moment lang still und setzte sich dann auf die Kante meines Bettes und fuhr mit seinen Fingern durch meine Haare, kraulte meine Kopfhaut. Es fühlte sich so gut an, dass ich beinahe vergaß, dass er eine Freundin hatte.

Abgesehen davon, wie laut er seine Hosen anzog, war er ein sehr süßer Typ. Er war die Art von Mann, von dem ich mir erträumte, ihn zu daten, wenn nicht jeder Schwule mich als schrulligen, geschlechtslosen Typen oder seinen Bruder sehen würde.

„Ich schätze mal, du hattest gestern Abend Spaß?“

„Ich erinnere mich nicht“, gab ich zu.

„Hast du einen Filmriss?“

„Ja“, sagte ich ihm und vergrub mein Gesicht im Kissen.

„Wow, das ist hart“, meinte er und rieb meinen Kopf noch etwas kräftiger.

Der Mann hatte magische Hände. Wenn ich ein Hund wäre, würde mein Bein jetzt gerade durchdrehen. Freundin oder nicht, wenn er in mein Bett kriechen wollen und seine Arme um mich schlingen wollte, würde ich nicht nein sagen.

Er würde das allerdings nicht machen. Neben der Tatsache, dass er verdrießlicherweise Hetero war, war er auch der reinste Kerl, den ich kannte. Ganz egal, wie unschuldig es wäre, er würde es wahrscheinlich als Betrug betrachten. Der Mann war einfach ein guter Kerl. Ich würde wohl den Rest meines Lebens damit verbringen, einen schwulen Kerl wie ihn zu suchen.

„Kann ich dich etwas Fragen?“, fragte Cory ernsthaft.

„Ob ich dich heiraten will? Wenn du meinen Kopf weiter so kraulst, ist die Antwort ja.“

Cory schmunzelte. „Ich wird’s mir merken, aber das war nicht die Frage.“

„Oh Mann“, grollte ich enttäuscht.

„Ich frage mich, warum du einen Fetzen Papier an deinem Oberteil festgesteckt hast.“

„Was?“

Cory bewegte seine magischen Finger von meiner Kopfhaut weg und zog an etwas, das an meinem T-Shirt hing. Es war das, was ich gestern Abend getragen hatte, als ich ausgegangen war. Und bis zu dem Moment, an dem meine Erinnerungen dunkel wurden, war der Zettel nicht dort gewesen. 

Ich drehte mich um, um es besser sehen zu können. Als ich es nach oben kippte, sah ich Worte darauf.

„Es ist verkehrt herum geschrieben“, sagte ich ihm, während die Überreste des Whiskys in meinem Kopf herumwaberten.

 Cory schmunzelte wieder. „Lass mich das für dich holen.“

Er ließ die Sicherheitsnadel los und betrachtete den Zettel. „Willow Pond um 14 Uhr. Was bedeutet das?“

Was bedeutete das? Ich kannte Willow Pond. Es war mein Lieblingsplatz auf dem Campus. Dorthin ging ich, wenn ich einen Moment zum Nachdenken brauchte. Aber was war das ‚um 14 Uhr‘?

Ich drehte mich um, um Cory zu fragen, ob er es richtig gelesen hatte, als plötzlich ein Bild in meinem Kopf aufblitzte. Es war ein Junge von nicht benennbarer Größe und Gestalt, und er lehnte sich zu mir.

„Oh Gott! Ich habe einen Jungen geküsst!“, sagte ich und schoss in die Höhe.

Anscheinend ging das etwas zu schnell, denn gleichzeitig kam alles, was ich am Vorabend konsumiert hatte, mit nach oben. Wenn unser Zimmer nicht so nah am Badezimmer gelegen hätte, hätte ich es nicht geschafft. Aber als ich vom Porzellangott zurückkam, fühlte ich mich wie ein Tiger auf der Jagd. Das dauerte ungefähr 30 Sekunden, bevor ich daran erinnert wurde, dass die Sonne der Teufel war und ich wieder unter meine Laken kriechen musste.

Ich war keiner dieser beliebten Schwulen, die jedes Wochenende einen anderen Typen im Bett hatten. Ich würde es gerne erklären, indem ich sagte, dass ich mich für die Ehe aufsparte, aber das war es nicht. Kerle standen einfach nicht auf mich.

In der Highschool konnte ich es dem Umstand zuschreiben, dass ich als Einziger geoutet war. Aber warum war das im College genauso? Die East Tennessee University hatte sogar einen LGBTQIA+ Club. Ich war in meinen ersten zwei Jahren hier Mitglied gewesen. Da mich in dieser Zeit noch niemand nach einem Date gefragt hatte, beschloss ich, dieses Jahr eine Pause einzulegen.

Was musste ein Junge tun, um ein bisschen Lippen-Action zu bekommen? So sturzbetrunken sein, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann, wie es sich angefühlt hat, und mit wem es war, wie es schien. Klasse!

„Bist du in Ordnung?“, fragte mein Mitbewohner und sah mich besorgt an.

Er würde eines Tages einer Schnapsdrossel ein großartiger Ehemann sein.

„Ich glaube, ich habe einen Jungen geküsst.“

„Das habe ich gehört. Wen?“

„Ich weiß nicht.“

„Wie kannst du das nicht wissen?“

„Weil einige von uns im Gegensatz zu dir schlechte Entscheidungen treffen und Dinge mit völlig Fremden tun, an die sie sich nicht erinnern“, erklärte ich.

„Ich treffe manchmal schlechte Entscheidungen.“

„Natürlich, Mister, ich bin-praktisch-verheiratet, seit ich siebzehn bin. Du weißt wahrscheinlich nicht einmal, was eine schlechte Entscheidung ist.“

„Ich bin nicht perfekt.“

„Schon klar.“

„Wie auch immer. Glaubst du, der Typ, den du geküsst hast, ist derselbe, der das geschrieben hat?“

Ich setzte mich auf. „Jetzt schon.“

„Also ist das wie eine Einladung?“

„Ein Treffen u 14 Uhr an meinem Lieblingsort?“

„Ja“, sagte Cory mit wachsender Aufregung. „Das ist irgendwie romantisch.“

„Das ist es, nicht wahr?“

„Erinnerst du dich an etwas von dem Kerl?“, sagte er mit viel mehr Interesse, als jeder Hetero hätte haben sollte.

Ich durchforstete mein Gedächtnis. „Ich kann mich nur daran erinnern, dass sich jemand zu mir gelehnt hat. Das ist alles.“

„Was ist mit dem Winkel? Nach vorn gelehnt? Eher gebückt?“

„Er hat sich nach unten gebeugt. Und er war groß. Daran erinnere ich mich.“

„Groß wie wirklich groß. Oder einfach größer als du.“

„Hey, wir sind gleich groß“, erinnerte ich Cory.

„Ich habe kein Urteil gefällt. Ich habe versucht, einen Vergleich zu bekommen.“

„Ich glaube, er war groß. Ich glaube, ich erinnere mich, dass er große Hände hatte.“

„Große Hände“, sagte Cory zweideutig.

„Was?“, sagte ich errötend.

„Ich meine ja nur.“

Cory lächelte. Zusätzlich zu all seinen großartigen Seiten war er auch der perfekte schwule beste Freund, wenn ich ihn brauchte. Ich wusste, dass es nichts bedeutete und dass er mich unterstützte. Aber es ließ meine Fantasien hin und wieder freien Lauf zu lassen.

„Okay, genug Anspielungen, immer mit der Ruhe. Wir wissen nichts über ihn. Soweit wir wissen, könnte er groß gewesen sein, weil er eine Statue war, die mein betrunkener Arsch unangemessen berührt hat.“

„Aber würde eine Statue dir eine Nachricht schreiben, dass ihr euch um 14 Uhr bei Willow Pond treffen sollt?“

Ich dachte darüber nach. Cory hatte recht. Wer auch immer die Notiz geschrieben hat, war ein Mensch. Der Kerl, den ich geküsst habe, war aus Fleisch und Blut. Bedeutete das, dass ich jemanden getroffen hatte, den ich mochte und der mich auch mochte? Gab es Wunder wirklich?

„Kelly und ich gehen wandern, also muss ich frühstücken. Aber du triffst ihn, ja?“

„Du meinst den Fremden, der den Ort vorbereiten könnte, um mich zu ermorden?“

„Nein, ich meine den Kerl, der dich unter dem Sternenhimmel geküsst und dir einen Hinweis hinterlassen hat, um ihn wiederzufinden.“

Verstehst du, was ich damit meine, dass Cory zu gut ist, um hetero zu sein?

Cory stand auf und schnappte sich seine Schlüssel und seine Brieftasche.

„Kendall, so viel wie ich dir zugehört habe, wie du dich darüber beschwerst, dass du niemanden hast, geht es gar nicht anders, als dass du hingehst. Das könnte der Typ sein, mit dem du den Rest deines Lebens verbringst.“

„Ja, weil er mich tötet und meinen Körper in den Teich wirft.“

Cory lachte. „Okay. Tu, was du tun musst. Aber wenn ich heute Abend zurückkomme und du diesen Typen nicht getroffen hast, werde ich sehr enttäuscht von dir sein.“

„Ja, Dad.“

„Braver Junge, Sohnemann“, sagte er, bevor er sich auf mein Bett kniete und mein Haar küsste.

Argh! Was habe ich darüber gesagt, dass Cory perfekt ist? Seine Freundin wusste keinesfalls, wie toll er wirklich war.

Aber genug von dem Typen, der weggeht, um seine Freundin zu treffen, und den ich nie haben werde. Es war an der Zeit, darüber nachzudenken, wer auch immer die Notiz an mich geheftet hatte. Ich musste zugeben, dass es zumindest ein bisschen romantisch war.

Wusste er, dass ich mich nicht an die Nacht erinnern würde und sichergehen wollte, dass wir uns wiedersehen? Das musste es sein, oder? Nicht, dass er seine Nummer nicht in mein Telefon eingeben wollte, damit die Polizei sie nicht findet? Oder vielleicht war es beides.

Langsam spürte ich, wie meine Kraft zurückkehrte, und durchsuchte meine Tasche nach meinem Handy. Als ich es nicht fand, wühlte ich durch meinen Nachttisch. Da war es auch nicht. Habe ich mich so betrunken, dass ich mein Handy verloren habe?

Mist! Es hatte 800 Dollar gekostet und ich zahle immer noch dafür. Ich trinke ernsthaft nie wieder etwas. Es ist gut, dass außer meinen Eltern nur der Typ darin gespeichert war, mit dem ich zusammenlebte. Gott sei Dank, dass ich unbeliebt war.

 Da ich etwas in meinen Magen bekommen musste, machte ich mich schließlich auf den Weg zur Cafeteria und füllte mein Tablett. Ich wusste nicht, was drin bleiben würde, also nahm ich von allem etwas. Als ich von meinem Essen aufschaute, fiel mir ein Typ ins Auge, den ich aus dem Unterricht kannte und der mir zuwinkte, mich seiner Gruppe anzuschließen. Ich winkte ihn ab, da ich wusste, dass ich in meinem Zustand kein Gespräch führen konnte.

Außerdem wollte ich vor 14 Uhr sehen, woran ich mich erinnern konnte. Wenn ich nicht wusste, wie er aussah, wie sollte ich ihn dann finden, wenn ich dort ankam? Woher wusste ich, dass er mich gerade nicht beobachtete?

Ich sah auf und überflog den Raum. Es waren viele Leute da. Die meisten waren in ein Gespräch vertieft oder sahen auf ihren Teller. Der Einzige, der es nicht war, starrte mich an. Nach einem kurzen Blickkontakt kam er herüber.

„Hey Kendall, hast du meine Nachricht wegen der Studiengruppe bekommen? Willst du mitmachen?“, fragte er verlegen.

Ich kannte ihn. Es war der Typ aus dem Psychologieunterricht, der mich immer anstarrte. Ich konnte nicht sagen, was er wollte. War immer etwas in meinem Gesicht oder sah er nur den Typen hinter mir an?

„Ich glaube, ich habe mein Handy verloren“, sagte ich, bevor ich mir reflexartig den Mund abwischte.

„Ernsthaft? Das ist Scheiße!“

„Kannst du laut sagen.“

„Brauchst du meine Nummer noch einmal?“

„Ich habe nichts, um sie einzutragen.“

„Richtig“, sagte er enttäuscht. „Wie auch immer, wir treffen uns am Donnerstag im Commons. Es wäre toll, wenn du kommen könntest.“

„Ich glaube, ich habe am Donnerstag etwas, aber vielleicht“, sagte ich ihm und wollte eigentlich nicht hingehen.

„Oh, in Ordnung. Lass es mich wissen.“

Er lächelte und kehrte an seinen Tisch zurück. Ich wunderte mich über ihn. Der Typ fragte mich immer, ob ich mich ihm für dieses oder jenes anzuschließen würde. Wie viele gesellschaftliche Veranstaltungen organisierte er?

Nachdem ich meine Pfannkuchen gegessen hatte, fühlte ich mich Mensch genug, um in mein Zimmer zurückzukehren und mich für den Tag fertig zu machen. Sonntag war ein ruhiger Tag in den Wohnheimen. Die meisten Leute schüttelten normalerweise die Auswirkungen ihrer Samstagnacht ab.

Beim Duschen konnte ich nicht anders, als mir vorzustellen, wer den Zettel an mein Hemd geheftet hatte. Was, wenn Cory Recht hatte und es die Liebe meines Lebens war? Die Wahrscheinlichkeit, dass er es war, war gering, aber das bedeutete nicht, dass es nicht passieren konnte.

Der Gedanke daran ließ mich vor Aufregung kribbeln. Wie wäre es, in die Arme eines Mannes zu kriechen und einzuschlafen? Wie wäre es, einen Freund zu haben oder Sex zu haben? Ich wusste von all den Sachen nichts.

Alles, was ich wusste, war, dass ich, egal wer dieser Typ war, alles tun würde, um das nicht zu vermasseln. Ich war es leid, allein zu sein. Ich wollte wissen, wie sich Liebe anfühlte.

Als unser Treffen immer näher rückte und die Schmetterlinge in meinem Bauch überhandnahmen, nahm ich das schönste T-Shirt, das ich hatte, passend zu der schwarzen Hose im gleichen Farbton. Ich wickelte mir ein Lederarmband mit Nieten um das Handgelenk, stand vor dem Spiegel und betrachtete mich.

Dieser Typ war sicher enttäuscht, wenn er mich bei Tageslicht sah, aber das war das Beste, was ich tun konnte. Ich strich die widerspenstigen Locken aus meiner Stirn und sie fielen wieder zurück. Ja, das war das Beste, was ich zu bieten hatte. Das musste reichen.

Ich konnte es nicht länger hinauszögern, verließ mein Zimmer und ging zu Willow Pond. Ich konnte kaum atmen, so nervös war ich. Was würde passieren, wenn ich ihn nicht erkannte? Was wäre, wenn er mich sah, bemerkte, dass er einen großen Fehler gemacht hatte, und mich daraufhin versetzen würde.

Der Gedanke reichte beinahe aus, dass ich kehrt machte, aber ich tat es dann doch nicht. Ich ging Schritt für Schritt weiter, bis der Teich in Sicht kam. Der Ort war praktisch leer. Der Einzige dort war ein Typ, der am Ufer stand und die Enten beobachtete.

Könnte er es sein? Das war doch nicht möglich. Ich konnte nur seinen Rücken sehen, aber der allein sagte mir schon, dass er außerhalb meiner Liga spielte. Stell dir Schultern vor, die breit genug waren, um die Welt zu tragen, und Arme, die stark genug waren, um sie in seinen Händen zu zerquetschen.

Sein goldenes Haar glänzte, als die Lichtreflexion des Teiches von ihnen abprallte. Sein Anblick drohte mir den Atem zu nehmen. Als er sich umdrehte und unsere Augen sich trafen, geschah genau das. Er war es, der Typ von letzter Nacht. Ich hätte ihn überall erkannt.

All meine Erinnerungen kehrten zurück. Sturzbetrunken war ich auf der Party auf ihn zugelaufen und hatte ihm gesagt, dass er der atemberaubendste Typ war, den ich je gesehen hatte. Ich hatte fast erwartet, dass er mir eine reinhaut oder so. Stattdessen hatte er mich nach meinem Namen gefragt und wir hatten uns die restliche Nacht unterhalten.

Die meiste Zeit über erzählte ich ihm, wie heiß er war, und versuchte ihn zu küssen, während er mich abwehrte und errötete. Oh Scheiße, das hatte ich ganz vergessen. Ich habe mich zum kompletten Volltrottel gemacht.

Er hatte mich nur geküsst, weil ich ihn nicht in Ruhe gelassen hätte, bis er es getan hätte. Doch dann schrieb er etwas auf ein Stück Papier und sagte mir, dass es für morgen war und dass, wenn ich immer noch interessiert wäre,  ich ihn hier treffen sollte.

Ich denke, er hatte sich so verhalten, um ein Gentleman zu sein. Er musste gesehen habe, wie betrunken ich war, und wollte mich nicht ausnutzen. Doch wie konnte jemand so heiß und rücksichtsvoll sein? Etwas stimmte ganz offensichtlich nicht mit ihm.

„Kendall! Da bist du ja“, sagte er lächelnd mit einem ländlichen Tennessee Akzent.

Oh Gott, er erinnerte sich an meinen Namen. Wie war seiner?

„Natürlich“, sagte ich und kam eine Armeslänge von ihm entfernt zum Stehen. „Wie könnte ich nicht …“

„Du kannst dich nicht an meinen Namen erinnern, oder?“, scherzte er.

„Doch. Du heißt ähm …“

Meine Gedanken überwarfen sich verzweifelt.

„Schon okay. Du warst gestern Abend ziemlich betrunken. Ich bin echt froh, dass du gekommen bist.“

„Die Notiz war eine große Hilfe. Sie war an mir festgesteckt.“

Er lachte. „Ja. Ich wollte nicht, dass du sie verlierst … so wie dein Telefon.“

„Also habe ich mein Telefon verloren.“

„Das hast du mir erzählt.“

„Verdammt! Ich hatte irgendwie gehofft, dass du es hast.“

„Warum sollte ich es haben?“, fragte er immer noch lächelnd.

„Ich hatte es einfach gehofft. Also, wirst du mich dazu zwingen, dich nach deinem Namen zu fragen?“

„Oh! Ich heiße Nero.“

„Kendall.“

„Ich erinnere mich.“

„Stimmt. Ich muss ehrlich sein. Ich erinnere mich nicht an viel von letzter Nacht. Die einzigen Sachen, an die ich mich erinnere, sind mir vor zirka 60 Sekunden eingefallen. Entschuldige.“

„Schon gut. Was willst du wissen? Ich erinnere mich an alles.“

Ich dachte einen Augenblick lang nach. „Ähm, haben wir uns geküsst?“

Nero lachte. „Ja, wir haben uns geküsst.“

„War es gut?“

„Für mich war es das.“

„Und ich habe dich geküsst, also war es wahrscheinlich auch gut für mich.“

Nero wurde rot.

„Was hast du mir über dich erzählt, was ich vielleicht vergessen habe?“

„Ich glaube nicht, dass ich dir viel von irgendetwas erzählt habe.“

„Warum nicht?“

„Du hast nicht gefragt. Aber ich habe dich viel über dich gefragt. Ich weiß, dass du aus Nashville kommst.“

„Geboren und aufgewachsen“, bestätigte ich.

„Ich weiß, dass du im dritten Jahr bist.“

„Stimmt.“

„Und ich weiß, dass du der süßeste Typ bist, den ich je gesehen habe. Aber das musstest du mir nicht sagen.“

Meine Wangen glühten, als ich seine Worte hörte. Es war eindeutig nicht wahr, aber ihn das sagen zu hören, schickte einen Beben durch mich, das sich in meinem Geschlecht niederließ und mich hart werden ließ.

„Du bist auch ziemlich heiß“, sagte ich ihm wohl wissend, dass ich knallrot war.

„Vielen Dank!“

„Da du so viel über mich weißt, sollte ich mich wohl auch nach dir erkundigen.“

„Okay. Schieß los.“

„Woher kommst du?“

„Aus einer kleinen Stadt, ungefähr zwei Stunden von hier entfernt.“

„Und in welchem ​​Jahr bist du?“

„Ich bin im ersten Jahr. Nach der Highschool habe ich mir ein paar Jahre freigenommen.“

„Was ist dein Hauptfach?“

„Im Augenblick? Football“, sagt er lachend.

„Football?“, sagte ich und spürte, wie die Luft aus unserer Blase entwich.

„Ja. Ich bin über ein Stipendium hier. Im Moment konzentriere ich mich ganz und gar darauf.“

Ich starrte Nero an und hörte kein Wort mehr, nachdem er ‚Football‘ gesagt hatte. Ein Schmerz schoss mir in die Magengrube, bis ich gezwungen war, ihn zu unterbrechen.

„Nein! Tut mir leid, nein. Ich kann das nicht. Football? Auf keinen Fall!“, sagte ich, trat zurück und gestikulierte mit meinem Finger. Ich sah ihn wieder an, als der Schock über sein schönes Gesicht huschte. Warum musste er Footballspieler sein?

„Scheiße!“, schrie ich in völliger Frustration, bevor ich davonstürmte und nicht zurückschaute.

 

 

Kapitel 2

Nero

 

Was war gerade passiert? Gerade eben rede ich noch mit dem Typen, den ich am Abend zuvor kennengelernt habe. Alles lief gut. Ich hatte das Gefühl, er könnte jemand Besonderes sein. Dann schrie er mich wie aus dem Nichts an und sagte, ich solle mich verpissen.

„Was zum Teufel ist gerade passiert?“, schrie ich Kendall nach, als er wegging.

Weder drehte er sich um noch antwortete er. Ein Teil von mir wollte ihm hinterherjagen und zwingen, es mir zu sagen, aber ich wollte das nicht. Hatte es damit zu tun, dass ich Football spiele? Wie das? Warum?

Football war schon immer das, was alle an mir mochten. Sogar die Leute, die mich hassten, liebten mich, wenn ich auf das Spielfeld trat. Verdammt, sogar meine Mutter liebte mich, wenn ich auf das Spielfeld ging.

Sie hatte so viele Jahre in meinem Leben gefehlt. Nicht, weil sie mich wie mein Vater verlassen hatte. Aber weil sie in ihrer eigenen Welt verschwunden war. Und das einzige Mal, dass sie sich dieser hier wieder anschließen würde, war, wenn sie mich unter den Lichtern freitagnachts anfeuerte.

Football war die Verbindung zwischen mir und meinem neu entdeckten Bruder Cage. Football bezahlt meine Flucht aus der Kleinstadt, in der ich aufgewachsen war. Football hatte mir in meinem Leben alles Gute gegeben.

Aber der erste Typ überhaupt, den mochte, der erste Typ, der mein Herz zum Aussetzen brachte, wenn ich ihn nur ansah, hasste mich, weil ich irgendetwas damit zu tun hatte? Warum kann ich nicht einmal verschont werden?

Während ich noch dort stand, wo Kendall mich zurückgelassen hatte, drehten sich meine Gedanken im Kreis. Es war nicht nur so, dass Kendall weggegangen war und mich abgelehnt hatte. Es war auch alles andere in meinem Leben. Aus Snow Tip Falls kommend war das Großstadtleben hart. Es gab so viel Druck. Ich gab alles, um auf dem Feld aufzufallen. Stand früher als alle anderen auf, um Selbstmordsprints zu laufen, bis ich kotzte – und das war nur der Anfang.

Letzte Nacht war die erste Nacht gewesen, in der ich mich gut gefühlt hatte. Kendall zu treffen und seine Offenheit zu erleben, ließ mich denken, dass ich vielleicht ich selbst sein könnte. Ich ging so nett und rücksichtsvoll mit ihm um, wie ich konnte. Ich wollte die Dinge wirklich nicht vermasseln. Er war meine Chance, zum ersten Mal in meinem Leben der zu sein, der ich wirklich war. Und all das endete damit, dass er mit dem Finger auf mich zeigte und ‚Auf keinen Fall!‘ schrie.

Das tut weh. Es riss mir die Eingeweide heraus. Ich musste anfangen zu laufen oder mein Kopf würde explodieren.

Ich verließ den Teich und lief auf die Straße. Es war die, die durch den Campus führte. Aber anstatt zu meinem beengten Wohnheim zu gehen, joggte ich in die entgegengesetzte Richtung. Ich musste weg. Ich musste atmen.

Mein Joggen wurde schnell zu einem Lauf. Meine Gedanken kreisten. Die Erinnerung an Kendall wanderten zu den letzten einundzwanzig Jahren meines Lebens. Ich hatte um alles kämpfen müssen. Niemand hatte mir etwas geschenkt. Nicht einmal meine Mutter.

Während sie katatonisch war, ging ich zur Arbeit. Jemand musste dafür sorgen, dass wir einen Platz zum Schlafen und Essen hatten. Mit 14 Jahren war die einzige Person, auf die ich mich verlassen konnte, ich selbst.

Die meiste Zeit trug ich Kleidung, die eine Nummer zu klein war. Ich konnte mir nichts anderes leisten. Und als das erste Kind in der Schule darauf hinwies, habe ich ihm dafür, das er das Thema angesprochen hatte, eine ordentliche Tracht Prügel verpasst. Danach hat sich keiner mehr über mich lustig gemacht.

Ich habe mit vierzehn Aufträge erledigt, die mich hätten töten können, mit zwanzig in Kampfklubs auf mich selbst gewettet. Ich hatte immer alles getan, um zu überleben.

Wenn Cage mich nicht gefunden und mir gesagt hätte, dass wir Brüder sind, würde ich es wahrscheinlich immer noch tun. Stattdessen stellte er mich seinem College-Footballtrainer vor, arrangierte mein Stipendium und rettete mich aus dieser Welt.

Aber selbst nachdem ich so weit gekommen bin, denkt der Typ, in den ich mich verguckt habe, immer noch, dass ich zu schwer zu lieben sei. Das war wohl der Grund, warum meine Mutter in ihre eigene Welt verschwand und ich ohne Vater aufgewachsen bin. Ich war zu schwer zu lieben. Ich war ein Niemand, der nichts wert war, und das war alles, was ich jemals sein würde.

Bei diesem Gedanken wurde alles zu viel. Mein Kopf pochte und eine schmerzhafte Qual durchfuhr mich. Ich hatte das Gefühl, ich würde explodieren. Ich musste es herauslassen. Also tat ich es auf die einzige Weise, die ich kannte, heftete meine Augen auf das nächste geparkte Auto vor mir und ließ mich gehen.

Ich trat so fest ich konnte gegen die Tür und das Metall verbogen sich beim Aufprall. Es war nicht genug. Ich musste ein Krachen hören. Also ballte ich meine Faust und hämmerte gegen das Beifahrerfenster. Es gab nicht nach, also schlug ich härter zu. Schließlich explodierte das Glas in tausend Teile.

So laut es auch war, das war immer noch nicht genug. Als ich auf die Hintertür eintrat, verbeulte ich sie. Ich wollte gerade auf die Motorhaube klettern und meinen Fuß durch die Windschutzscheibe befördern, als mich etwas aufhielt. Es war eine Sirene. Sie erweckte mich, als wäre ich in einem bösen Traum gefangen gewesen.

Ich klärte meinen Kopf und schaute auf das, was ich angerichtet hatte. Ich hatte das Auto demoliert. Das war schlecht. Ich hatte die Kontrolle über mich verloren und das war das Ergebnis.

„Runter auf den Boden!“, schrie jemand hinter mir. „Ich sagte, runter auf den Boden.“

Ich hatte gerade alles ruiniert. Ich war dabei, mein Stipendium und meine einzige Chance auf ein Leben zu verlieren. Wenn ich ein klügerer Mensch wäre, wäre ich vielleicht weggerannt. Aber dazu hatte ich nicht das Zeug.

Ich hatte dies getan. Ich war derjenige gewesen, der alles Gute, was vor mir lag, ins Chaos gestürzt hatte, sonst niemand. Und ich würde nicht gegen meine selbstverschuldete Zerstörung ankämpfen.

Da ich nicht schnell genug auf die Knie kam, stieß mich jemand von hinten. Ich fiel auf das zerbrochene Glas. Bevor ich aufstehen konnte, zog jemand meine Handgelenke zusammen und brachte Handschellen an. Sie waren fest genug, um in meine Haut zu schneiden.

„Sie haben das Recht zu schweigen“, begann er.

Den Rest musste ich mir nicht anhören. Ich war damit vertraut. Ich würde ins Gefängnis gehen. Da ich mir keine Kaution leisten konnte, würden sie mich zwei bis drei Tage lang festhalten, bis ich vor den Richter kam.

Dort würde ich verurteilt werden. Und im Gegensatz zu der Zeit, als ich minderjährig war, würde mich dieses Verbrechen für den Rest meines Lebens verfolgen. Ich hatte mir das angetan. Und um ehrlich zu sein, wusste ich immer, dass es eine Frage der Zeit war, bis ich etwas vermasselte.

Ich folgte den Anweisungen der Polizei ohne Widerstand. Auf dem Rücksitz des Streifenwagens ließ ich meine Gedanken schweifen. Ich dachte an all die Dinge, die mich hierher gebracht hatten. Ich dachte an Kendall. Von all den Dingen, die ich bedauerte, stand die Tatsache, dass ich ihn so verärgert hatte, ganz oben

Die Wahrheit war, dass die Party gestern Abend nicht das erste Mal gewesen war, dass ich ihn gesehen hatte. Es war der Tag von Cages Abschluss. Wir hatten uns angesehen, während er unter einem Baum stand und die Zeremonie beobachtete. Ich hatte gedacht, er wäre der süßeste Kerl, den ich je gesehen habe.

Er war kein großer Mann, aber ganz in Schwarz gekleidet, hatte er eine gewisse Schärfe. Sein struppiges braunes Haar betonte seine kantigen Züge. Und die Tatsache, dass er eine runde Goldbrille trug, sagte mir, dass mehr in ihm steckte, als er erahnen ließ.

In mir steckte mehr, als ich zugeben wollte. Ich war der Schläger, der Kampfclubs für Geld veranstaltete. Ich war bereit, jemanden im Handumdrehen auszuschalten. Aber ich mochte Jungs. Alles, was ich jemals wollte, war, dass mich ein Typ in den Armen hielt und mir sagt, dass alles gut werden würde.

Als ich Kendall dort stehen sah, wollte ich das unbedingt für ihn tun. Vielleicht würde das nie jemand für mich tun, aber ich könnte sein Retter sein. Ich wollte ihn beschützen. Ich wollte Kendall die Liebe geben, die ich nie haben konnte. Aber in dem Moment, in dem mir eine Chance gegeben wurde, vermasselte ich alles, indem ich ich selbst war.

Auf der Wache beantwortete ich alle ihre Fragen und wurde in meine Zelle gebracht. Es waren noch zwei andere Leute da. Der eine sah betrunken aus und der andere … nun, er sah aus wie ich, ein Schläger, dessen Zeit abgelaufen war.

Ich war nicht in der Stimmung zum Reden und sie waren es auch nicht. Dies war nicht mein erstes Mal im Gefängnis, also fühlte ich mich wohl, da ich wusste, dass ich eine Weile dort bleiben würde. Es überraschte mich also, als auf der anderen Seite der Gitterstäbe ein Polizist auftauchte und meinen Namen sagte.

„Nero Roman?“

„Das bin ich.“

„Du hast Kaution gestellt bekommen. Lass uns gehen.“

Ich stand auf, sicher, dass es sich um einen Fehler handelte. Aber wenn sie mich wegen eines Aktenfehlers rauslassen würden, war das auch okay. Als ich zurück zu dem Meer von Schreibtischen ging, überflog ich den Raum und entdeckte jemanden, den ich nicht erwartet hatte. Quin war der Freund meines Bruders und er sah ziemlich durch den Wind aus.

Wenn man bedachte, dass Quins Eltern Geld ohne Ende hatten und er aufgewachsen war, um an Orten wie den Bahamas Urlaub zu machen, war es kein Wunder, dass er auf einer Polizeiwache aussah, als würde er sich gleich ins Hemd machen. Die einzige Frage war, was er hier tat. Ich hatte mein einziges Telefonat nicht benutzt. Mir fiel niemand ein, der mir helfen würde.

Als ich auf Armeslänge herankam, schlang Quin seine Arme um mich. Seine Umarmung war aufrichtig und fest.

„Gott, Nero, was ist passiert? Was tust du hier? Und warum hast du mich nicht angerufen?“

Ich wollte gerade antworten, als jemand, den ich kannte, durch die Tür kam. Titus war mein Mitbewohner und ein Typ, den ich von zu Hause kannte. Er war von denselben beiden Leuten, Quin und meinem Bruder, inspiriert worden, die East Tennessee University zu besuchen. Er näherte sich und schlang auch seine Arme um mich.

„Was zum Teufel ist los, Mann? Und warum mussten wir von einem Typen vom Campus-Sicherheitsdienst erfahren, dass du hier bist?“

„Es ist nichts“, sagte ich ihnen. „Ich habe gerade ein Auto etwas beschädigt.“

„Etwas beschädigt?“, fragte Quin und trat zurück. „Sie sagten, du hättest ein Fenster und ein paar Türen eingeschlagen?“

„Wie gesagt, etwas beschädigt“, sagte ich mit der Andeutung eines Lächelns.

„Wieso das?“, fragte Quin und sein niedliches Strebergesicht wurde streng.

Ich dachte an Kendall und wie er mir gesagt hatte, ich solle zur Hölle fahren.

„Ich möchte nicht darüber reden. Habt ihr ein Auto dabei?“

„Ja, ich fahre“, sagte Titus zu mir und fuhr sich mit den Fingern durch sein struppiges, kaffeefarbenes Haar. „Ich parke draußen. Lass uns gehen.“

Wir drei gingen zu Titus’ Truck und fuhren schweigend zurück zum Campus.

„Wohin soll ich fahren?“, fragte Titus, als wir in die Campusstraße einbogen. „Setze ich alle ab oder fahren wir zu Quin zu unserem üblichen Sonntagsessen?“

Ich wollte ihn gerade bitten, mich zu unserem Wohnheim zu bringen, als Quin mir das Wort abschnitt.

„Zu mir. Cage kommt her und er wird alles darüber hören wollen. Das können wir genauso gut beim Essen machen.“

„Du hast es Cage nicht erzählt, oder?“, fragte ich Quin und fühlte deswegen einen Schmerz in meiner Brust.

„Er war der Erste, den ich anrief, nachdem Titus es mir erzählt hatte.“

Ich sah Titus sauer an.

„Sieh mal, Mann, das Campus-Sicherheitsteam hat mir erzählt, dass du eines ihrer Autos demoliert hast und im Gefängnis sitzt. Wen sollte ich sonst anrufen? Er ist der Einzige, der wissen würde, wie man dir einen Anwalt beschafft.“

„Du hast einen Anwalt gerufen?“, fragte ich Quin.

„Das musste ich nicht. Cage hat die Schule angerufen und konnte die Angelegenheit glätten. Er hat immer noch einen Stein im Brett, weil er die nationalen Meisterschaften gewonnen hat. Also musste ich nur deine Kaution hinterlegen und dich rausholen.“

„Also, werde ich mein Stipendium nicht verlieren?“

„Das habe ich nicht gesagt. Aber ich bin sicher, Cage wird dir alles erzählen, was du darüber wissen musst. Ernsthaft, Nero, was hast du dir dabei gedacht?“

Ich antwortete nicht.

„Also fahren wir zu Quin?“

Ich sah resigniert aus dem Fenster. „Ja.“

„Cool. Lou hat mir gesagt, dass er heute Abend kein Date hat, er wird auch da sein“, sagte Titus mit einem Lächeln.

Quin und ich sahen ihn an.

„Was? Er und ich sind Freunde. Ich weiß, dass keiner von euch viel Erfahrung damit hat, Freunde zu haben, aber vertraut mir, zusammen Abhängen ist etwas, was Leute so machen.“

Ich wandte mich an Quin. Wir dachten beide dasselbe. Titus sprach nie darüber, aber wie ich so mit ihm zusammenlebte, hatte ich definitiv das Gefühl, dass wir mehr gemeinsam hatten, als einer von uns zugab.

Titus und Quins schwuler Mitbewohner standen sich ziemlich nahe. Ich wusste, dass es nichts bedeutete, mit einem Schwulen befreundet zu sein. Und Titus war ein sehr freundlicher Typ. Aber ich konnte nicht anders, als zu denken, wie süß die beiden zusammen wirkten.

Das würde ich Titus niemals sagen, weil ich nicht bereit war, dass der Typ, mit dem ich zusammenlebte, diese Seite von mir sah. Es war eine Sache, kleine Sachen bei dem Freund meines Bruders durchblicken zu lassen, der viel Übung darin hatte, Geheimnisse zu bewahren. Es war eine andere, es der Person zu sagen, die dich jeden Tag sah und dein Kommen und Gehen beobachtete. Das war zu viel Druck, wenn man bedachte, dass ich all das gerade erst herausgefunden hatte. Und nach dem, was mit Kendall passiert war, wurde mir klar, dass ich noch weniger wusste, als ich dachte.

Wir parkten vor Quins schickem Wohnheim, fuhren nach oben und wurden von Lou begrüßt.

„Du hast den Verbrecher mitgebracht“, sagte er und starrte mich an. „Was ist es nun gewesen? Bewaffneter Raub? Einbruch?“

„Woher weißt du, was ein Einbruch ist?“, fragte Titus.

„Ich schaue Law and Order. Ich weiß solche Dinge.“

Quin schritt ein: „Ich glaube nicht, dass Nero darüber reden will. Also …“

„Es war ein klassischer Blitzeinbruch, nicht wahr? Denke nicht, dass du mich dazu bringen wirst, mich in dich zu verlieben, weil du diese ganze Bad Boy-Sachen hier durchziehst. Ich mag nette Jungs.“

Ich öffnete meinen Mund, um zu antworten.

„Okay, gut, wir können ausgehen. Aber wenn du mich nach einer betrunkenen Nacht des Liebesspiels schwängerst, bekomme ich das Baby und ich ziehe es nicht allein auf.“

Ich sah Lou fassungslos an und lachte dann. Wir alle taten das.

„Ich meine es ernst, Mr. Ich ziehe Nero Jr. nicht alleine auf.“

„Okay, ich verspreche es“, sagte ich ihm und fühlte mich plötzlich besser.

Titus ergriff das Wort: „Nun, da wir das geklärt haben, was haltet ihr alle von einer Runde Wavelength?“

Wavelength war unser Lieblingsspiel am Sonntagabend. Meistens war es bei Getränken und wenn alles deutlich weniger angespannt war.

Als Partner schnappte sich Titus natürlich Lou und ich bildete mit Quin ein Team. Nach ein paar Runden lief es gut. Dann kam Cage.

Mein Bruder war sauer. Ich konnte es ihm nicht verdenken.

„Warum zum Teufel hast du ein Auto von der Campuspolizei zertrümmert?“

„Es war ein Auto der Campuspolizei?“, fragte ich.

„Das wusstest du nicht?“

„Es war nicht so, als ob ich es auf jemanden abgesehen hätte. Ich war einfach sauer.“

„Wegen was?“

„Nichts“, sagte ich und wollte wirklich nicht darüber sprechen.

„Du willst es nicht sagen, was? Naja, darüber musst du reden. Die Schule ist bereit, dich dafür bezahlen zu lassen, anstatt Anklage zu erheben.“

„Das Geld habe ich nicht.“

„Du bist derjenige, der es zerstört hat. Du wirst derjenige sein, der dafür bezahlt.“

„Ich könnte es dir leihen“, bot Quin freiwillig an.

„Ich brauche dein Geld nicht“, blaffte ich.

„Pass auf, Nero. Er versucht nur zu helfen.“

„Ich brauche seine Hilfe nicht. Ich brauche niemandes Hilfe.“

„Wenn man bedenkt, dass er derjenige war, der dich aus dem Gefängnis geholt hat, scheint das nicht ganz wahr zu sein, oder?“

Ich hielt die Klappe, weil ich wusste, dass Cage Recht hatte. Sobald ich aufhörte zu reden, tat Cage es auch. Mit bedeutend mehr Mitgefühl in seinen Augen kam er auf mich zu und legte seine Arme um meine Schulter.

„Nero, du hast ein aufbrausendes Temperament und das musst du in den Griff bekommen.“

„Ich versuche es.“

„Und trotzdem musste mein Freund dich heute aus dem Gefängnis holen.“

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, gab ich zu.

Cage musterte mich. Ich glaube, er wusste auch nicht, was er sagen sollte.

„Ich werde mir etwas einfallen lassen. Ich werde mit der Schule sprechen und sehen, was wir uns einfallen lassen. Keine Sorge, wir werden das klären. Ich bin für dich da, Mann. Ich gehe nirgendwohin.“

„Keiner von uns“, fügte Titus hinzu.

„Ja“, stimmte Quin zu.

Ich sah die Jungs um mich herum an und wischte mir eine Träne aus den Augen. Vielleicht käme alles in Ordnung. Vielleicht war ich nicht so allein, wie ich dachte.

 

 

Kapitel 3

Kendall

 

„Ahhh!“, schrie ich und wachte auf.

Ich sah mich um. Ich lag in meinem Bett und es war Morgen. Cory saß aufrecht da und starrt mich an. Er sah erschrocken aus.

‚Es war nur ein Traum‘, sagte ich mir. ‚Nichts weiter.‘

„Evan Carter?“, fragte Cory und entspannte sich langsam.

„Evan Carter“, gab ich zu.

„Scheiß auf Evan Carter“, sagte mein Mitbewohner und gab mir damit ein besseres Gefühl.

Ich legte mich wieder hin und versuchte mich zu beruhigen. Ich konnte nicht sagen, ob die Albträume schlimmer wurden, aber sie wurden nicht besser.

Evan Carter war der Footballspieler, der meine Highschool-Jahre zur Hölle gemacht hatte, als mein erstes Jahr begann. Irgendetwas an mir konnte er nicht ausstehen. Ich habe immer angenommen, dass es daran liegt, dass ich das einzige schwule Kind dort war. Aber wenn ich ehrlich zu mir war, war es nicht so, als hätte ich versucht, mich anzupassen.

Ich experimentierte mit meiner Haarfarbe, dem Tragen von Make-up und der Art der Kleidung, die ich trug. Vielleicht ging es ein bisschen zu weit, ein Kleid in der Schule zu tragen. Es war nicht so, als hätte ich dafür gekämpft, das Patriarchat zu stürzen oder so. Ich hatte nur ein bisschen Spaß. Ich versuchte herauszufinden, wer ich war.

Zu deiner Information, ich bin kein Typ, der Kleider oder Make-up trägt. Und es liegt nicht daran, dass Evan Carter mich nach Strich und Faden schikaniert hätte, wenn ich es getan hätte. Es ist einfach nicht mein Ding.

Aber es musste einen Punkt gegeben haben, an dem es die Football-Rindviecher nicht mehr ausgehalten haben. Denn ab einem bestimmten Punkt schubsten sie mich jedes Mal, wenn sie auf den Fluren an mir vorbeigingen. Ich konnte zu Mittag essen oder ruhig im Unterricht sitzen und mein Kopf würde nach vorn geschleudert, gefolgt von dem Schmerz ihrer offenen Handfläche.

Sie stießen meinen Kopf auf Tische, verriegelten Türen und sogar Toiletten. Das Schlimmste war, dass ich sie nie kommen sehen konnte. Es kam so weit, dass ich meinen ganzen Schultag damit verbrachte, Zimmer nach ihnen abzusuchen. Wenn ich einen entdeckte, musste ich mich so unsichtbar wie möglich machen. Wenn sie mich sahen, konnten sie angreifen oder auch nicht. Es war immer wie zufällig. Aber wenn sie beschlossen hatten, dass heute mein Höllentag war, war ich nirgendwo sicher.

Und wenn es nicht der körperliche Missbrauch war, dann das ständige Necken. Ich weiß, dass an dem Wort ‚Schwuppe‘ nichts falsch ist und viele Leute tragen es als Ehrenabzeichen. Aber wenn ich es noch einmal höre, denke ich, ich werde ausflippen.

Ich würde aber nicht nachgeben. Ich weigerte mich, von ihrer Engstirnigkeit mein Leben bestimmen zu lassen. Ich weinte, wenn ich mich morgens anzog, weil ich wusste, dass das, was ich anzog, mir einen weiteren Höllentag bescheren würde.

Ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich es gar nicht mehr tragen wollte. Aber ich habe es trotzdem getan, weil … wer wusste schon warum?

Vielleicht wollte ich mir selbst beweisen, dass ich dem Druck nicht nachgeben würde. Vielleicht wollte ich ihnen nicht die Genugtuung geben, zu denken, sie hätten gewonnen. Vielleicht konnte ich nur nicht genug von der Bestrafung bekommen.

Was auch immer der Grund war, ich tat es und hatte kaum noch Lebenswillen, als die Highschool zu Ende war. Ich war so froh, mit der Universität angefangen und das alles hinter mir gelassen zu haben. Ich konnte mich kleiden, wie ich wollte, und ich konnte wirklich Ich sein. Ich dachte, es sei das Größte, bis die Albträume anfingen.

Zugegeben, sie waren immer da. Aber jetzt spitzten sie sich zu und konzentrierten sich auf eine Person, Evan Carter. Er war der Anführer der Gruppe.

Ich glaube immer noch, dass mich der Rest ohne diesen Idioten in Ruhe gelassen hätte. Er traute sich wahrscheinlich nicht, sich zu outen und wünschte sich, er hätte den Mut, das zu tun, was ich tat. Wer weiß?

Was feststeht, ist, dass ich in der Highschool die Schlachten und den Krieg verloren habe. Ich war nicht nur der Einzige, dem regelmäßig in den Arsch getreten wurde, er hatte auch noch Jahre später einen Platz in meinem Kopf. Das war so ein Quatsch.

Das Schlimme daran war, dass die Albträume bis letzte Nacht zu verblassen begannen. Früher hatte ich sie bis mehrere Male pro Woche. Cory weiß alles darüber. So oft wie ich ihn schreiend geweckt hatte, ist es ein Wunder, dass er immer noch bereit war, mein Mitbewohner zu sein.

Es war zwei Wochen her gewesen bis zu meinem Schreifest von letzter Nacht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich weiß, was es ausgelöst hat. Ich hatte einen Footballspieler geküsst. Bei dem Gedanken musste ich fast kotzen. Sicher, Nero war nicht wie Evan Carter oder einer seiner Arschlochfreunde, aber trotzdem.

Footballspieler haben mein Leben zu einem höllischen Albtraum epischen Ausmaßes gemacht, seit ich 14 Jahre alt war. Sie bedrohten meinen Lebenswillen. Ich wache wegen ihnen schreiend und schweißgebadet auf. Ich wollte jetzt nicht am Gesicht eines Footballspielers lutschen.

„Gehst du zum Unterricht?“, fragte Cory, der sein Bett nicht verlassen hatte.

„Oh Scheiße!“, rief ich aus, als ich mich an meinen frühen Montagmorgenunterricht erinnerte.

Mein Professor musste ein Sadist sein. Wer setzte an einem Montag um 8 Uhr morgens einen Pflichtkurs an? Das war lächerlich. Aber wenn ich Klinischer Psychologe werden wollte, musste ich Psychologie als Hauptfach studieren und diesen Kurs belegen.

Ich krabbelte aus dem Bett und zog mich schnell an. Ich machte mich fertig, packte meinen Rucksack und eilte hinaus. Ich kam zu spät zum Kurs, aber um 8 Uhr morgens waren Verspätungen relativ zu sehen.

„Heute werden Sie den T.E.Q., den Toronto Empathiefragebogen, ausfüllen. Das wird uns nicht nur in unsere Diskussion über Empathie leiten, es wird Euch Möchtegerntherapeuten da draußen auch sagen, ob Sie der Richtige für den Job sind“, sagte mein Professor plötzlich und zog meine Aufmerksamkeit auf sich.

Ich wollte unbedingt Therapeut werden. Es war das Einzige, was ich wollte, seit ich 12 war. Ich hatte ein Psychologiegrundlagenlehrbuch von vorne bis hinten gelesen, als ich 15 Jahre alt war, weil ich so daran interessiert war. Ich musste bei diesem Test gut abschneiden.

Als das Papier vor mir hingeschoben wurde, sah ich, dass es nicht sehr lang war. Die Fragen waren auch ziemlich einfach. Ich schrieb meinen Namen darauf und begann.

‚Wenn jemand aufgeregt ist, neige ich dazu, auch aufgeregt zu sein; nie, manchmal oder immer?’

Einfach. Natürlich immer.

‚Das Unglück anderer Leute stört mich nicht sehr; nie, manchmal oder immer?’

Wieder ganz einfach. Nie … normalerweise.

Ich meine, wenn es eine normale Person wäre, auf die sich diese Frage bezieht, nehme ich an, dass ich mich über das Unglück eines anderen nie gut fühle. Aber nehmen wir an, Evan Carter wird von einem Bus angefahren. Ich behaupte nicht, dass er stirbt … unbedingt. Ich rede nur davon, dass er einen Bruchteil des Schmerzes empfindet, den er mir vier Jahre lang zugefügt hat.

Die Frage kann sich nicht auf solche Situationen beziehen, oder? Oder doch? Wollte der Fragebogen die dunkelsten Gedanken ausgraben? War mein Mangel an Empathie für einen Psychopathen, der mich gefoltert hat, was mich zu einem schlechten Therapeuten machte?

Ich starrte die Frage wie gelähmt an. Daran kam ich nicht vorbei. Ich konnte nicht glauben, dass nach allem, was er mir angetan hatte, das Echo davon mich davon abhalten konnte, das Einzige zu werden, was ich jemals wollte.

„Bitte geben Sie Ihre Unterlagen weiter“, sagte mein Professor und riss mich aus meiner Trance.

„Ich bin noch nicht fertig“, sagte ich dem penetranten Mädchen, das mir meinen Zettel abnahm und den Stapel weiterreichte.

Sie zuckte mit den Schultern und erkannte meinen Kampf kaum an. Ich wusste genau, dass diese Eiskönigin eine schreckliche Therapeutin abgeben würde. Aber was war mit mir? War Empathie wirklich so wichtig?

Auf diese Frage musste ich nicht lange warten. Zwei Tage später bat mich mein Professor, ihn zu sehen, bevor ich ging.

„Zu Beginn des Semesters habe ich Sie alle nach Ihren Zielen für diesen Kurs gefragt“, begann Professor Nandan.

„Ja. Und ich sagte, dass ich Therapeut werden möchte, weil ich das wirklich will.“

Er sah mich verwirrt an. „Genau. Was mich dazu bringt, mich zu fragen, warum Sie dies auf einem Fragebogen tun würden, mit dem ich Ihr Maß an Einfühlungsvermögen ermitteln will“, sagte er, bevor er mein Blatt zwischen uns auf den Schreibtisch legte.

„Ich weiß, ich habe es nicht beendet.“

„Das haben Sie nicht. Aber das ist nicht das, was ich meine“, sagte er und tippte mit seinem Finger neben das Gekritzel, das ich in die obere rechte Ecke des Papiers gezeichnet hatte.

Als ich es noch einmal ansah, stellte ich fest, dass es weniger Gekritzel war, sondern eher eine Skizze. Ich war dafür bekannt, Dinge zu zeichnen, wenn mir langweilig war, und es waren nicht immer glückliche Bilder. Dieser war definitiv nicht glücklich und hatte eine Botschaft, die kaum zu übersehen war.

„Sie haben einen an einer Schlinge hängenden Footballspieler in die Ecke eines Empathiefragebogens gezeichnet? Gibt es etwas, worüber Sie gerne sprechen würden, Mr. Seers?“

Mein Mund klappte auf, als ich zu dem runden Gesicht des Mannes vor mir aufsah. Es stand außer Frage, was dies inspiriert hatte. Verdammt noch mal Evan Carter.

„Okay, ich kann es erklären“, fing ich an, wusste aber nicht, was ich als Nächstes sagen würde.

„Ich bitte darum“, drängte er geduldig.

Wollte ich lügen? Ihm die Wahrheit sagen? Dies fühlte sich wie ein Szenario an, in dem ich nicht gewinnen konnte.

„Ich könnte ein Problem mit Footballspielern haben.“

„Was Sie nicht sagen“, erwiderte er sarkastisch.

„Und vielleicht bin ich aus einem bösen Traum über einen von ihnen aufgewacht, kurz bevor ich zum Unterricht kam.“

„Wollen Sie über diesen Traum sprechen?“

„Nicht wirklich. Es war ein ziemlich normaler Albtraum. Viel Verfolgung. Viel Laufen. Wissen Sie, das Übliche.“

„Und dann sind Sie hergekommen und haben das … auf einen Empathiefragebogen gezeichnet?“

„Scheint si“, sagte ich mit einem betretenen Lächeln.

Professor Nandan lehnte sich in seinem Stuhl zurück und musterte mich. Ich konnte nicht sagen, was er dachte, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass es etwas Gutes war.

„Die Art und Weise, wie wir mit Kindheitstraumata umgehen, ist für jeden von uns einzigartig“, begann er. „Einige von uns entscheiden sich dafür, sie zu vermeiden. Aber die effektivste Strategie für ein gesundes, glückliches Leben besteht darin, Probleme direkt anzugehen.“

„Sie schlagen vor, dass ich deswegen zu einem Therapeuten gehen sollte?“

„Es würde nicht schaden. Aber die Forschung zeigt, dass der effektivste Weg, Empathie für eine Gruppe zu gewinnen, darin besteht, sie zu vermenschlichen.“

„Ich glaube nicht, dass Footballspieler keine Menschen sind. Sie sind einfach die schlimmsten, die es je gegeben hat.“

Mein Professor sah mich seltsam an.

„Okay. Aber Sie akzeptieren schon, dass nicht jeder, der ein Merkmal teilt, gleich ist? Nicht jeder Footballspieler ist gleich. Genauso wie nicht jeder Student, der sich ganz in Schwarz und Nietenarmbändern kleidet, gleich ist. Wir sind alle einzigartige Individuen.“

„Was schlagen Sie vor?“, fragte ich und spürte, wie sich ein Knoten in meiner Brust zusammenzog.

„Ich schlage vor, Sie lernen einen Footballspieler kennen. Ich denke, wenn Sie ihre Individualität sehen, kann dies viel dazu beitragen, die negativen Gefühle, die Sie ihnen gegenüber haben, zu lindern. Es könnte sogar bei Ihren Träumen helfen.“

„Und wie meinen Sie lerne ich einen Footballspieler kennen?“

„Interessanterweise gibt es ein Programm, das ich seit einigen Jahren versuche zusammenzustellen. Es ist eine Art Mentoring-Ding. Studenten höherer Semester werden mit Erstsemestern zusammengebracht, die sich schwer an das Universitätsleben gewöhnen, um als jemand zu fungieren, auf den sie sich verlassen können. Wenn man bedenkt, dass Ihr Ziel darin besteht, Therapeut zu werden, könnte das ganz gut passen.“

„Das klingt gut. Aber ich vermute, was Sie nicht sagen, ist, dass ich einen Footballspieler betreuen würde.“

„Einer ist wegen seines Verhaltens ein wenig in Schwierigkeiten geraten. Und anstatt ihn von der Schule und dem Footballprogramm zu verweisen, dachte sich die Universität, dass so etwas hilfreich wäre.“

Ich schaute meinen Professor an. Schlechteste Idee aller Zeiten! Nicht per se. Der Mentorenteil klang ziemlich cool. Aber der Teil, dass ich mit einem dieser Schweine werfenden Psychopathen in einem Raum eingesperrt war, war Wahnsinn.

Wollte er mich töten? Sobald die Tür geschlossen und wir allein waren, würde dieser Typ seinen Kiefer ausrenken und mich ganz verschlingen. Nachdem er mich verschlungen hatte, würde er sich höchstwahrscheinlich nach Washington D.C. schlängeln und an Größe wachsen, bis er mit seinem Schwanz um das Washington Monument gewickelt den Präsidenten auffressen würde und die Vereinigten Staaten in eine dämonische Diktatur verwandelte … oder reagierte ich über?

„Ja“, sagte ich, bevor es sich in meinem Gehirn registrierte. „Ich werde es tun.“

„Werden Sie?“

„Scheint so.“

„Sind Sie sicher?“

„Nein. Aber ja. Hören Sie, ich möchte eines Tages ein guter Therapeut werden. Verdammt, ich will nicht nur gut sein. Ich möchte großartig sein. Ich möchte Menschen helfen. Ich möchte, dass Kinder nicht das durchmachen müssen, was ich erlebt habe. Und wenn das bedeutet, mein Problem mit einer bestimmten Gruppe dämonischer Seelsauger zu konfrontieren, werde ich es tun.“

Professor Nandan sah mich fragend an.

„Ich mache Witze … meistens jedenfalls. Nein ich mache nur Witze. Ich kann das tun. Und Sie haben recht. Die direkte Auseinandersetzung mit meinem Problem ist der beste Weg, damit umzugehen.“

„Dann richte ich es ein. Danke dafür. Wenn das mit Ihnen und ihm klappt, könnte das dazu führen, dass viele Menschen noch jahrelang Hilfe bekommen“, sagt er mit einem Lächeln.

„Mit anderen Worten, kein Druck?“

Er lachte. „Kein Druck. Seien Sie einfach Sie selbst. Es geht nicht darum, dass Sie ihm Antworten geben können. Es geht darum, für ihn da zu sein und ihm Ihr Ohr zu leihen, wenn er es braucht.“

„Das könnte ich machen.“

„Das werden Sie großartig machen“, sagte er, bevor er versprach, mir die Details per E-Mail zu schicken und mich entließ.

Es war gut, dass niemand wirklich Schlaf brauchte, um bei Verstand zu bleiben. Denn wenn dem so wäre, hätte ich in eine Menge Ärger am Hals. Weil ich im Dunkeln im Bett lag und nur an all das denken konnte, was Evan Carter und seine Teamkollegen mir angetan hatten, seit ich alt genug war, um gerade zu pinkeln.

Ich wusste nicht, was ich dachte, als ich zustimmte. Es war eine schlechte Idee, einen Footballspieler zu betreuen, eine sehr schlechte Idee.

Das würde mich jedoch nicht davon abhalten, es durchzuziehen. Wer war ich, eine schlechte Idee abzulehnen?

Als ich zum vereinbarten Treffpunkt ging, war meine Kleidung durchgeschwitzt. Ich hatte eine Panikattacke. Wir trafen uns in einem Büro in der Übungsanlage der Footballmannschaft, der Schlangenhöhle. Wenigstens würde mein Professor bei mir sein.

„Sind Sie bereit dafür?“, fragte er mich ebenso aufgeregt wie erschrocken.

„Nein, aber ich bin hier. Also machen wir’s.“

Professor Nandan legte seinen Arm um meine Schulter und führte mich in den Raum. Das Monster saß mit dem Rücken zu mir. Das Komische war, dass ich seinen Rücken erkannte. Er war unverkennbar. Und als er sich umdrehte und ich einen Blick auf seine anbetungswürdigen Wangenknochen erhaschte, hielt ich das für einen grausamen Scherz.

„Du?“, fragte ich fassungslos.

„Kennen Sie sich beide?“, fragte mein Professor.

Wir sahen uns an. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte.

„Wir haben uns kennengelernt“, antwortete Nero.

„Ich hoffe, das ist gut“, schlug mein Professor vor.

Nero sah mich wieder an. „Ja“, bestätigte er und erlaubte meinem Professor zu durchzuatmen.

„Dann muss ich euch vielleicht nicht vorstellen. Aber, Nero Roman, das ist Kendall Seers. Kendall, Nero ist ein sehr vielversprechender Footballstar.“

„Das würde ich nicht sagen“, warf Nero schnell ein.

„Ich habe dich spielen sehen. Du bist sehr gut“, schwärmte der ältere Mann.

„Danke“, sagte Nero und sah verlegen weg.

„Und Kendall hier ist einer meiner vielversprechendsten Studenten.“

„Das bin ich“, bestätigte ich. „Wahrscheinlich der Beste.“

Ich habe keine Ahnung, warum ich das gesagt hatte. Aber es brach die Anspannung. Zumindest bei den beiden.

„Davon weiß ich nicht“, scherzte mein Professor. „Aber er ist sehr gut. Bei ihm sollten Sie in guten Händen sein. Soll ich Sie beide zum Kennenlernen verlassen?“

„Ich sehe keinen Grund, warum nicht“, sagte Nero und sah mich an, als hätte ich ihm nicht ins Gesicht gespuckt, und trat Schmutz auf ihn, als ich wegging, als ich ihn das letzte Mal sah.

„Sehr gut. Dann bin ich weg“, sagte der strahlende Mann, ließ uns allein und schloss die Tür hinter sich.

Wir sahen uns beide an. Es wäre das Schlimmste auf der Welt gewesen, wenn er nicht so verdammt heiß gewesen wäre. Im Ernst, wie kann jemand so gut aussehen? Der Typ strotzte nur so vor Sex. Ich überlegte, wie er nackt aussah.

„Also, worüber willst du reden?“, fragte er mich lächelnd. Gott hatte er ein tolles Lächeln.

Ich hatte zuvor gedacht, dass ich schwitzte. Jetzt stand ich praktisch in einer Pfütze.

„Bist du heiß hier drin?“, fragte ich. „Ich meine DIR! Ist DIR heiß hier drin? Möchtest du rausgehen? Lasst uns von hier verschwinden. Ich brauche frische Luft. Ich kann hier nicht atmen.“

„Geht es dir gut?“, fragte er besorgt.

„Ich muss nur spazieren gehen. Können wir spazieren gehen?“

„Was immer du willst“, sagte er voller südlichem Kleinstadtcharme.

Wir verließen die Trainingseinrichtung und gingen schweigend zum Campus zurück. Auf halbem Weg wurde mir klar, dass ich nicht in der Lage sein würde, dem davonzulaufen, also ging ich zu einer Bank und setzte mich. Nero setzte sich neben mich. Ich konnte ihn riechen. Er roch nach Leder und Moschus. Der Geruch machte meinen Schwanz hart. Was tat ich da, wegen einem Footballspieler hart zu werden?

„Woher wusstest du das?“

„Woher wusste ich was?“, fragte ich ihn und sah ihn immer noch nicht an.

„Dass dies mein Lieblingsplatz ist. Ich kann mich nicht erinnern, dir das in der Nacht, in der wir uns trafen, gesagt zu haben.“

„Das ist dein Lieblingsplatz?“, fragte ich mich endlich zu ihm umdrehend.

„Ja. Ich lege hier jeden Tag nach dem Training einen Stopp ein. Training ist immer viel, weißt du. Alles kann viel sein. Das ist also die Bank, auf der ich sitze, um meine Gedanken zu sortieren.“

Ich sah mich um. Ich hatte in meinen Jahren hier nicht viel Zeit in dieser Ecke des Campus verbracht. Aber es war ein wunderschöner Ort. Hier gab es mehr Bäume als in jedem anderen Fleck. Und mit den bunten Herbstblättern, die den Boden bedeckten, sah die Szene wie eine Postkarte aus.

„Was genau ist es, was zu viel wird?“, fragte ich und fühlte mich plötzlich ruhiger.

Neros Lächeln verschwand. „Alles. Training. Kurse. Gefühle zu haben, die ich wahrscheinlich nicht haben sollte.“

Ich sah Nero an und fragte mich, was das für Gefühle waren. „Darf ich dich etwas fragen?“

„Was denn?“

„Bist du schwul?“

Nero rutschte unbehaglich herum. Ich glaube nicht, dass er auf die Frage vorbereitet war.

„Du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht willst.“

„Es ist nicht so, dass ich es dir nicht sagen will.“

„Das weißt du nicht?“

„Ist das schlecht?“

„Was bedeutet schon ‚gut‘ oder ‚schlecht‘?“

„Nun, das eine ist etwas Gutes. Und das andere etwas Schlechtes“, erklärte er mit ernstem Blick.

Ich drehte mich zu ihm um. Er ließ den ernsten Ausdruck fallen und wir lachten beide.

„Ach, das erklärt es. So habe ich das noch nie gesehen“, scherzte ich.

„Gern geschehen“, sagte er und spielte mit.

„Ich meinte, was ist ein Moment der Unsicherheit im Großen und Ganzen.“

„Es ist länger als nur ein Moment. Es ist seit der Pubertät, wenn wir denn eine Zeit benennen wollen.“

„Und für wen hattest du davor Gefühle?“

„Meistens Mädchen.“

„Dann bist du wahrscheinlich bisexuell“, sagte ich ihm.

„Aber ich hatte sehr starke Gefühle für Jungs. Vor allem in letzter Zeit.“

„Es spielt keine Rolle. Bisexualität ist definiert als die Fähigkeit, eine romantische oder sexuelle Anziehung zu mehr als einem Geschlecht zu haben, nicht unbedingt gleichzeitig oder in gleichem Maße. Wenn du also mit 12 aufrichtig in ein Mädchen verknallt warst, und ich meine starke Gefühle, dann hast du bewiesen, dass dein Gehirn so verdrahtet ist, dass du diese Gefühle haben kannst. Du musst keinen weiteren Schwarm haben, damit es zutrifft.“

„Dann vermute ich mal, dass mich das bisexuell macht. Wow! Ich habe mein ganzes Leben darüber gegrübelt und du hast es mir einfach beantwortet“, sagte er erstaunt. „Also was ist mit dir?“

„Was soll mit mir sein?“

„Bist du bisexuell?“, fragte er schüchtern.

„Oh Gott nein! Sehe ich aus wie ein Tier?“

Nero sah mich schockiert an. Ich ließ meine Aussage so lange im Raum hängen, wie ich konnte, und lachte dann.

„Ich mache nur Spaß. Nicht wegen dem bisexuell Sein. Ich bin schwul. Aber es wäre in Ordnung für mich, wenn ich es wäre.“

Nero entspannte sich und lachte. „Hey, vielleicht bist du bi. Vielleicht hast du nur noch nicht das richtige Mädchen kennengelernt.“

„Nun, dieses Mädchen kommt besser mit einem Schwanz daher, weil das für meine Fantasien ziemlich wichtig ist.“

„Das könnte passieren“, betonte Nero.

„Auch wahr. Aber trotzdem hat ein Mann etwas an sich, das mich anzieht. Es ist schwer zu erklären …“

„Nein, ich verstehe das. Die haben etwas an sich“, sagte Nero, sah mich an und machte mich wieder hart. Gott, war er sexy.

„Wie auch immer, genug von meinem nicht existierenden Liebesleben. Vielleicht kannst du mir sagen, was dich hergebracht hat.“

„Hierher?“

„Du weißt schon, mit mir herumhängen zu müssen.“

„Glück?“

Ich lachte. „Ich meine es ernst.“

„Ich auch“, sagte er mit eimerweise Charme.

„Nein, komm schon. Ich soll schließlich hier sein, um dir zu helfen. Mein Professor sagte, dass es einen Vorfall gab?“

Nero sah nach unten und ließ den Charme ebenso in sich zusammenfallen.

„Ja, ich hatte einen Zusammenstoß mit einem Auto.“

„Was meinst du?“

Nero zögerte und sah mich an.

„Manchmal entgleitet mir die Kontrolle. Wenn das passiert, treffe ich nicht immer die besten Entscheidungen.“

„Also, wenn du sagst, dass du mit einem Auto zusammengestoßen bist, dann …?“

„Ich habe vielleicht etwas Frust daran ausgelassen.“

„Oh!“

„Ich habe ein paar Türen verbeult, ein Fenster eingeschlagen …“

„Wieso denn?“

Nero mustere mich einen Moment lang an und sah dann weg.

„Ich weiß nicht. Es gibt einfach Momente, in denen mir die Dinge aus der Hand gleiten.“